Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)
Die griechische
Plastik
Ein Kurzlehrgang für
Schülerinnen und Schüler
Die folgende Darstellung der Achsensysteme basiert auf dem (leider
vergriffenen) Buch «Kunst des Abendlandes, 1. Teil: Alter
vorderer Orient und Antike», hrsg. von Kurt Martin, Karlsruhe
1956.
Achsensystem I: Archaische Plastik (ca. 620 - 480 v. Chr.)
Um 620 v.Chr. entstanden die ersten lebens- und überlebensgrossen Statuen von Jünglingen (Kouros [sprich: Kuros], Pl. Kouroi), meist als Weihebilder für einen dem Apollon heiligen Bezirk oder auch als Grabbilder sowie als Darstellungen des Apollon selbst.
Die fast mathematisch genauen Achsen und die Frontalität dieser Figuren sind kennzeichnend für das Kompositionsprinzip archaischer Plastik: das Gesetz der strengen Form.
Apollon ist der Gott des Masses und damit der Gott der geistigen Ordnung. Sinnbild solchen Masses und solcher Ordnung sind auch diese Jünglingsstatuen.
Die strenge Einordnung aller Gelenkverbindungen in ausschliesslich senkrechte und waagrechte Achsen betont die naturgegebene Symmetrie des menschlichen Körpers. In dieser "Grundstellung" äussert sich nicht so sehr Ruhe, als vielmehr in sich geschlossene, gesammelte Spannkraft, die zur Aktivität drängt. Die Abweichung von der strengen Symmetrie durch das um eine Fusslänge vorgesetzte linke Bein wird zum Ausdruck eines kaum verhaltenen Bewegungswillens, wird fast zur Darstellung eines Schrittes. Dieses I. Achsensystem liegt sämtlichen archaischen Weihefiguren bis zur Zeit der Perserkriege (bis 480) zugrunde.
Archaische
Plastiken aus dem Perserschutt
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Achsensystem II : Klassische Plastik (ca. 480 - ca. 320 v Chr.)
Die
Kouroi ab 480 zeigen erstmals das neue Bewegungsmotiv eines
entspannten Stehens. Der Körper ruht nicht mehr in strenger
Symmetrie auf den beiden gleichtragenden Stützen der Beine,
jetzt trägt eine Stütze allein, das "Standbein", das volle
Gewicht des Körpers; das andere Bein wird als Spielbein
völlig entlastet und kann frei zur Seite gesetzt werden. Die
Hüftachse kommt ins "Hängen", wird schräg gestellt,
wodurch die Wirbelsäule sich in leichter S-Kurve nach oben
schwingen muss, um den Schwerpunkt des Körpers senkrecht
über der Unterstützungsfläche zu halten. Die
Schulterachse, die rechtwinklig zur oberen Hälfte der
S-Krümmung steht, gerät so in eine der Hüftachse
entgegengesetzte Schräglage. Damit ergibt sich nach der
Standbeinseite hin ein Zusammenlaufen aller von der Schulterachse
abhängenden Gelenkverbindungen mit den von der Hüftachse
abhängigen Verbindungen der Hüftbeinkämme und der
Kniegelenke und umgekehrt ein Auseinanderlaufen dieser Verbindungen
nach der Spielbeinseite. Dieses entlastete Stehen mit seiner kaum
merklichen, aber konstruktiv so entscheidenden Achsenverschiebung
ergibt den neuen Bewegungsausdruck der Entspannung, des gelassenen
In-sich-Ruhens, der nach den Perserkriegen für fast alle Figuren
der Früh- und Hochklassik typisch ist (z.B. die
Koren am
Erechtheion (26KB)).
Kommt zu dieser durch die Statik des Stand- und Spielbeins bedingten
Achsenlage noch der Wechsel von Aktivität und Passivität
und der Wechsel von Vor und Zurück hinzu, so bezeichnet man
diese Stellung als "Klassischen Kontrapost". Er entspricht einem
vollkommenen Ausgewogensein aller Teile gegeneinander.
Das Festlegen von künstlerischen Epochen und die entsprechende Zuweisung von Kunstwerken ist manchmal nicht leicht und sie ist von Späteren gemacht. Kunst befindet sich oft in einem Prozess; es stellen sich daher Übergänge ein, die fliessend sind. Die gängigen Einteilungen für die Zeit von 480 - 320 sind - und an diese halten wir uns auch hier - folgende:
Frühe Klassik 480 - 450 v. Chr. Klassik oder Hochklassik 450 - 430 v. Chr. Nachklassik (mit einer Erneuerungsbewegung ab 370) 430 - 320 v. Chr.
Achsensystem III : Hellenistische Plastik (320 - 30 v. Chr.)
Das völlige Auseinanderstreben sämtlicher Körperachsen ist für die hellenistische Plastik (ab 4. Jh.) charakteristisch, und zwar sowohl für die Einzelfigur als auch für die Gruppenkomposition. Der Raum wird, wie nie zuvor, allseitig erobert. Die Bewegung kann bis in die letzte Möglichkeit und Flüchtigkeit erfasst und wiedergegeben werden. Eine bis dahin unbekannte Freiheit des Ausdrucks wird erreicht und bis zu betontem Realismus und zu ausgesprochener Naturähnlichkeit gesteigert. Die Körperhaltung wird ungebunden dargestellt, entfesselter Leidenschaft hingegeben oder von brutaler Rohheit bestimmt. Statisch gewagte, nur für Augenblicke mögliche Bewegungen werden in Stein oder Bronze festgebannt. Nicht selten müssen die Künstler eine Stütze in die Komposition einbauen.
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(um 220 v. Chr.) (27KB) |
(um 2. Jh v. Chr.) (23KB) |
(um 190 v. Chr.) (23KB) |
(zwischen 150 v - 20 n.) (33KB) |
Hier
findet man weitere Beispiele hellenistischer
Plastiken
(Dieser Link öffnet ein zusätzliches
Fenster).
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