Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)
Man unterscheidet vier Stile der Wandmalerei in Pompeji. Diese Stile sind Systeme von Wanddekorationen. Die Übergänge von einem Stil zum anderen sind fliessend, einer entwickelt sich aus dem anderen. Um diese Übergänge beurteilen zu können, muss man die einzelnen Stile in ihrer ausgebildeten Form kennen lernen.
1. Stil: Mauerwerkstil (200 - ca. 80 v.
Chr.)
2. Stil: Architektur- oder Illusionsstil (80 - 27 v. Chr.)
3. Stil: Kandelaberstil (20 v. - 54 n. Chr.)
4. Stil: Phantasiestil (ab 41 - 79 n.
Chr.)
1. Stil: Mauerwerkstil (200 - ca. 80 v. Chr.)
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Imitiert werden farbige Marmorblöcke, die aus dem Stuck herausgeschnitten und plastisch geformt sowie farbig bemalt sind. In der Oberzone ist der Zahnschnitt zu erkennen. |
Die imitierten Marmorplatten sind nicht mehr geformt, sondern nur noch aufgemalt. Der dreidimensionale Effekt beruht allein auf der Licht-Schatten-Malerei. Die Orthostaten der Mittelzone stehen senkrecht und sind oft gerahmt. |
Der 1. Stil ist hellenistisch. Nachgeahmt wird eine aus Steinquadern gefügte Wand. Dazu wird plastischer, greifbarer Wandverputz (Stuck) aufgesetzt und bemalt.
In der griechischen Architektur ist das Verhältnis von tragenden und lastenden Kräften wie folgt ausgedrückt (z.B. Cellawand des Tempels):
- niedriger Sockel unten
- hochgestellte Platten (sog. Orthostaten)
- eine querlaufende Quaderschicht, die mit einem durchlaufenden Gebälk (Architrav, Fries mit Zahnschnittgesims) abgeschlossen ist.
Dieses System wird zuerst für die Malerei des 1. Stils übernommen und nachher in allen Stilen angewendet:
- Sockel
- hohe rechteckige Mittelzone
- durchlaufende Oberzone.
In einem nächsten Entwicklungsschritt wird im späten 1. Stil die Wand nur noch mit dem Pinsel ausgeführt, also ohne Stuck. Diese Technik eröffnet die neue Möglichkeit, nicht nur die Quadermauer, sondern auch architektonischen Schmuck wie Säulenreihen vor der Wand, vorspringendes Gebälk usw. zu malen. Der enge Raum kann so nach eigenen Wünschen durch die Illusionsmalerei erweitert werden. Der 2. Stil beginnt.
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Haus des Sallust Reste des 1.Stils (18KB) |
Haus des Sallust Zahnschnittgesimse (30KB) |
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2. Stil: Architektur- oder Illusionsstil (80 - 27 v. Chr.)
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Das Beispiel zeigt, wie der 2. Stil sich aus dem 1. Stil entwickelt. Hinter den Säulen erkennt man die Orthostaten und Quader. Die Sockelzone ist als Podest gemalt, auf welchem Säulen stehen, die ihrerseits ein Gebälk mit Bogen tragen. |
Die Quader sind "herausgenommen", dadurch öffnet sich der Ausblick auf eine doppelstöckige Säulenhalle. Rechts ist eine Türe in einen Garten geöffnet, in welchem der Dreifuss Apollos steht. Es entsteht die Illusion, der Raum sei nach aussen geöffnet. |
Natürlich ist der 2. Stil nicht so entstanden, dass eines Tages jemand am Morgen aufstand und sagte: "So, heute kreieren wir den 2. Stil!" Kunst verläuft in Prozessen. Eine neue Periode steht im Dialog mit der vorausgegangenen. Neues überwindet das Alte, muss aber gleichzeitig klar machen, was es überwindet, bevor es sich davon ganz ablösen kann. Dies lässt sich in der antiken Kunst immer wieder exemplarisch zeigen.
Voraussetzung für den 2. Stil ist, dass der 1. Stil in seiner Spätphase die Wand nur noch bemalt, also die Wanddekoration nicht mehr mit Stuck plastisch darstellt. Im frühen 2. Stil werden nun zuerst illusionistisch auf die Wand architektonische Elemente wie Säulen, Bogen usw. gemalt, wie sie auch gebaut werden könnten. Der dreidimensionale Effekt beruht lediglich auf den Licht- und Schattendarstellungen. Gleichzeitig ist aber immer noch zu erkennen, dass dieser frühe 2. Stil auf dem ersten Stil aufbaut.
In einem weiteren Schritt kann jetzt der 1. Stil ganz überwunden werden: Man malt Wandöffnungen mit Durchblick in Landschaften, die - entsprechend der auf axialsymmetrische Durchblicke angelegten Architektur - in eine axialsymmetrische Scheinarchitektur eingefügt sind und einen Ausblick in weite, perspektivisch dargestellte Fernen bieten.
Erweitert werden diese Darstellungen durch dargestellte Attribute z.B. des Dionysos-Kultes und des dazugehörigen Theaters (z.B. Masken), die innerhalb der Fassade angebracht sind. Dazu treten Statuen, menschliche Gestalten, Vögel, Girlanden, Gefässe mit Früchten und Blumen usw.
Die Sockelzone ist häufig in dunklen Tönen gehalten, die Mittelzone stets hell, Rot dominiert, die Architekturelemente sind goldgelb oder crèmefarben, Blau und Grün sind ergänzende Farben für die Details.
In der Zeit des Kaisers Augustus beginnt die Übergangszeit zum 3. Stil. Der Sinn für das Architektonisch-Plastische schwindet, die Säulen werden schlanker. In die dargestellten Landschaften dringen zunehmend mythologische Staffagen vor, der Ausblick wird immer mehr zum Anblick: Das Bild findet seinen Platz in der Mitte der Wand. Leichte phantastische Formen heben die festen architektonischen Strukturen auf, die Säulen erhalten Pflanzen- oder Stengelform oder werden durch Kandelaber ersetzt. Die Säulen werden sodann flacher, die Architektur zieht sich in die Wand zurück.
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3. Stil: Kandelaberstil (20 v. - 54 n. Chr.)
Das Streben nach Tiefe ist aufgegeben, die Säulen
sind gestreckt und dünn und dienen nur noch als Rahmen
für das Bild. Links und rechts davon ist die Wand mit
Rot flächig bemalt. Die Oberzone mit ihren abstrakten
Gebilden steht im Gegensatz zu den realistischen
Weingefässen in der Zone unter dem Mittelbild. Die breiten schwarzen Felder der Mittelzone und die
langen roten Blöcke lenken den Blick auf das Bild in
der Mitte. Die flächig bemalte Wand dient nur noch als
Bildträger. Die Architektur hat sich auf die gelben und
weissen Streifen reduziert und sich sozusagen völlig in
die Wand zurückgezogen. In der hellen Oberzone befinden
sich Architekturmotive mit aufgehängten Girlanden. Aber
im Gegensatz zur Architektur des 2. Stils sind diese Motive
reine Phantasiearchitektur.
Der 3. Stil ist ein rein römischer Stil. Die Wand wird zur Malfläche; statt einen Ausblick zu bieten, ist die Wand nun Bildträger. Grosse, einfarbige Felder (oft dunkle Sockelzone, rote Mittel- und weisse Oberzone) schaffen eine strenge Symmetrie, die durch zarte, an Kandelaber erinnernde Gebilde (Rest der Säulen des 2. Stils) aufgelockert werden. Es herrscht eine klare horizontale und vertikale Gliederung. Die Figurenszenen im Mittelbild beschränken sich auf wenige, genau gezeichnete Gestalten, die durch ihren Impressionismus einen starken Gegensatz zur Strenge der übrigen Dekoration bilden. Oft befindet sich das Mittelbild in einer Aedicula (Verkleinerungsform zu aedes) mit gebogenem oder dreieckigem Giebel. Der ganze Stil ist gekennzeichnet von einer harmonischen und fast goldschmiedehaften Feinheit.
In der zweiten Phase des 3. Stils (ca. 25 - 50 n. Chr.; v.a. unter Kaiser Claudius) bricht eine barockisierende Phantasie durch. Es treten konkave und konvexe Elemente auf, Bildformen sind oval oder rund, dargestellt wird eine Art von Kandelabern aus phantastischen Elementen. Die Oberzone beginnt, eine eigene, beherrschende Rolle zu spielen. Sie enthält zarte und bewegte architektonische Elemente, die allmählich in die Mittelzone um das Bild herum eindringt und wieder wie im 2. Stil eine Art Durchblick schafft. Im Gegensatz zum 2. Stil sind diese Elemente aber nicht illusionistisch - sie könnten so nicht gebaut werden.
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4. Stil: Phantasiestil (ab 41 - 79 n. Chr.)
In der Oberzone sehen wir phantastische
Architekturgebilde, die mit Girlanden verbunden sind. Auf
diesen Girlanden befinden sich oft Tiere und andere Wesen.
Das Ganze ist eine Kunstwelt, die der realen Welt
gegenübergestellt wird. Das Gleiche gilt für den
schmalen Durchblick links und rechs des Feldes. Anstelle der
Bilder finden wir im hier weissen Feld eine kleine
Figur.
Die erste Phase des 4. Stils fällt
zusammen mit der Regierungszeit der Kaiser Nero und Claudius (41 - 68
n. Chr.). Sie findet in Pompeji ihren Abschluss mit dem Erdbeben von
62 n. Chr.
Die Wand wird in dieser Zeit dezentralisiert: Gemalt wird in der
Mittelzone eine harmonische Verteilung grosser, aneinandergereihter
Tücher bzw. Teppiche mit textilen Mustern an den
Rändern - gemäss dem hellenistischen Brauch, echte
Bilderteppiche aufzuhängen. In der Mitte der Teppiche finden
sich kleine Bildchen oder schwebende Figuren. Zwischen den Teppichen
erscheinen Durchblicke auf zarte, barocke, leuchtende
Architekturgebilde. Der Durchblick, der schon in der Endphase des 3.
Stils als Element wiederaufgenommen wurde, ist ein Rückgriff
auf den 2. Stil. Im Gegensatz zu diesem handelt es sich aber jetzt
nicht um eine Architektur, die auch gebaut werden könnte,
sondern um eine künstliche Welt, die der realen Welt
gegenübergestellt wird. Dies gilt auch für die Oberzone,
in der Girlanden die phantastische Architekturgebilde verbinden. Auf
den Girlanden finden sich Tiere und andere Wesen.
Das Bild als Ganzes ist v.a. in neronischer Zeit gekennzeichnet durch
eine vielseitige Elastizität.
Die zweite Phase findet in Pompej mit dem Ausbruch des Vesuvs 79 n. Chr. ihr Ende. Sie ist gekennzeichnet durch ein Überwiegen von horizontalen und vertikalen Elementen, die vielseitige Elastizität der neronischen Zeit geht verloren. Es erscheinen weisse, rote und rotbraune Felder mit stereotypen Ornamenten. Oder architektonische Elemente verdrängen die Teppiche und bilden Szenographien, welche die gesamte Wandfläche bedecken und von allegorischen und heroischen Gestalten belebt sind. Manchmal treten auch im Rückgriff auf den 2. Stil wieder realistische architektonische Gebilde auf, was oft zu Fehldatierungen der Bilder geführt hat. Im Rückgriff auf den 1. Stil erwacht auch wieder das Interesse am Stuckrelief.
Wanddekorationen des 4. Stils auf verschiedene Phasen aufzuteilen, ist für den Laien äusserst schwierig. Wichtig ist es daher, sie überhaupt richtig dem 4. Stil zuordnen zu können.
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