Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)

Aratos, die Kommentatoren und Übersetzer

Aratos (um 310 - um 245 v. Chr.) stammte aus Soloi in Kilikien, studierte in Athen und kam auf Vermittlung seines Studienfreundes Persaios nach Pella an den Hof des makedonischen Königs Antigonos Gonatas (276 - 239 v. Chr.), wo er sich als Dichter und Philologe betätigte. Er schrieb Hymnen und Lehrgedichte, soll aber auch, einer Einladung des Seleukidenkönigs Antiochos I. (281 - 261) folgend, in Syrien Homers Ilias kommentiert haben.

Sein Hauptwerk sind die in Antike und Mittelalter vielbewunderten "Phainomena" (Himmelserscheinungen), die er nach dem "Spiegel" des Astronomen Eudoxos von Knidos (um 400 - 347 v. Chr.) in Hexameter fasste. Eudoxos war Mitglied der Athener Akademie, deren Haupt, Platon (427 - 347 v. Chr.), er in Abwesenheit vertrat. Die "Phainomena" sind demnach kein astronomisch-wissenschaftliches, sondern ein astronomisch-dichterisches Werk, ein Epos, das nicht durch seine astronomische Genauigkeit, sondern seine dichterische Allgemeingültigkeit in die Jahrhunderte hineinwirkte. Praktisch gesehen - und für unsere Zeit mit ihrem Anspruch auf Empirie schockierend - schrieb Aratos die "Phainomena" nicht in sternklaren Nächten, in denen ihn die Bewunderung des Himmels und die Position der Sterne zu seinen Versen beflügelt hätte, sondern mit dem Text des Eudoxos in Händen beim Drehen eines Himmelsglobus, auf dem die Bilder bereits figuriert waren. Dennoch wurden die "Phainomena" ein Lehrgedicht, das Gelehrten und Nichtgelehrten über Jahrhunderte den Himmel erklärte.

Aratos teilte die "Phainomena" nach der Einleitung (Vers 1 - 18) in drei Teile: 1. die am Himmel sichtbaren Sternbilder der nördlichen (Vers 19 - 321) und der südlichen Hemisphäre (Vers 322 - 450), 2. die Planeten und ihre Himmelskreise, den Tierkreis sowie die Auf- und Untergänge der Zeichen (Vers 451 - 732) und 3. die Wetterzeichen oder Prognostica (Vers 733 - 1154). In welcher Form ist der Text überliefert? Keineswegs auf einem Papyrus oder in spätantiken, griechischen, sondern in byzantinischen Handschriften, deren wichtigste in Cod. Marc. gr. 476 der Biblioteca Marciana zu Venedig aus dem Übergang vom 11. zum 12. Jahrhundert vorliegt. Der griechische Text wurde 1824 von Johann Heinrich Voss ediert und übersetzt, 1893 besorgte Ernst Maass eine neue Ausgabe. Zwei griechische Autoren sind als Bearbeiter des Aratos zu nennen: Eratosthenes (um 275 - um 195 v. Chr.) mit seinem 42 Konstellationen beschreibenden Sternkatalog (Katasterismoi) und Hipparchos von Nikaia (um 190 - um 120 v. Chr.) mit seinem Kommentar zu Aratos und Eudoxos. Letzterer ist der wohl bedeutendste Astronom des griechischen Altertums vor Claudius Ptolemaios (um 100 - um 170 n. Chr.). Sein Himmelskatalog umfasst 48 Sternbilder mit 1028 Sternen.

Von den lateinischen Autoren erwähnen wir zuerst Caius Julius Hyginus (1. Jh. n. Chr.). Er stammte wohl aus Alexandria, war freigelassener Sklave des Oktavian Augustus (63 v. Chr. - 14. n. Chr.) und später dessen Bibliothekar. Seine lateinische Astronomie fusst auf einer von ihm zuerst griechisch bearbeiteten Fassung der Aratea. Vier Bücher umreissen die Probleme der antiken Astronomie: 1. ein Abriss über die Sphaira (Kreis), ihren Mittelpunkt, die Achse, Pole, Zonen, über Zodiakus und Erde als Mittelpunkt des Universums, 2. die 41 Sternbilder und ihre Mythen, 3. die Anzahl der Sterne einzelner Sternbilder und ihre Position im Bild, 4. verschiedene astronomische Probleme: Sternbilder, Tag und Nacht, Hemisphären, Pole, Achse, Zodiakalkreis, Lauf von Sonne und Mond durch diesen Kreis in einem Jahr und einem Monat, Planeten. Schon vor Hyginus übertrug Marcus Tullius Cicero (106 - 43 v. Chr.) die "Phainomena" ins Lateinische, ihm folgte Claudius Caesar Germanicus (15 v. Chr. - 19 n. Chr.), Neffe des Kaisers Tiberius (14 - 37 n. Chr. ). Seine Versfassung liegt in der Leidener Aratea vor. Ein Astronom aus kaiserlicher Familie, war dieses das Motiv des Kompilators der Leidener Aratea zur Wahl des Germanicus-Textes, mit dem der karolingische Herrscher selbst zur Beschäftigung mit der Astronomie angeregt werden sollte? Bedeutend ist noch eine spätantike Bearbeitung der Aratea, nämlich jene mythologisch stark erweiterte des Rufius Festus Avienus (um 305 - nach 360). Sie zog der Kompilator der Leidener Handschrift stellenweise zu Rate.

Unter allen Astronomen des Altertums nimmt Claudius Ptolemaios einen hervorragenden Platz ein, weil er das antike astronomische Gesamtwissen mit seiner um 140 n. Chr. entstandenen "Megale Syntaxis" (Almagest) in einem Handbuch darbot, das die Lehre des geozentrischen Weltbildes auch in das hohe und späte Mittelalter hineintrug. In einem zweiten Werk, dem "Tetrabiblos" (Vierbuch) behandelte er den astrologischen Aspekt der Gestirne. Dem karolingischen Zeitalter waren jedoch seine Schriften nicht bekannt. Erst im 11. und 12. Jahrhundert entstanden in Toledo nach den arabischen Ausgaben des Almegest lateinische Übersetzungen.

Astronomie war auch im Zeitalter der Karolinger vorwiegend Beschäftigung mit den antiken astronomischen und mythologischen Texten. Wir möchten diesbezüglich die Aufmerksamkeit noch einmal auf den anonymen "Astronomus" lenken, jenen Biographen Kaiser Ludwigs des Frommen (813 - 840), den wir möglicherweise als Kompilator der Leidener Aratea am Werk sehen dürfen. Sollte seiner Kompilationsgabe auch ein anderes berühmtes und schulverwandtes Werk mit Sternbildern, nämlich Ms. Harley 647 der Londoner British Library zuzuschreiben sein? Die Handschrift enthält einerseits Ciceros Versübersetzungen der Aratea, andererseits die Fabulae aus dem 2. sowie die Sternzahlen und Positionen in den einzelnen Bildern aus dem 3. Buch des Hyginus.

Fabulae, Zahl- und Positionstexte sind wie "Carmina figurata" (Figurengedichte) dergestalt in die Sternbilder hineinkomponiert, dass sie ihren Leib ausfüllen. Kopf und Extremitäten werden dagegen zumeist farbig nach der Natur gemalt. Auch diese Idee entspringt der Beschäftigung mit der antiken Dichtung und führt in das 4. christliche Jahrhundert zurück, zu Optatianus Porfyrius und seinen Bildgedichten auf Kaiser Konstantin d. Gr. (306 - 337).

 

 

 
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