Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)

 

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Quelle:

Neue Zürcher Zeitung Ressort Feuilleton, 16. Januar 2001, Nr.12, Seite 52

 

Der Fussboden als Augenweide

Die Mosaiken der römischen Villa von Vallon

fs. Liestal, 3. Januar

Die Jahrzehnte um 200 n. Chr. waren für das Schweizer Mittelland eine gute Zeit. Seit über 200 Jahren Teil des Römischen Reiches, war es von 101 n. Chr. an, als die letzte Legion von Vindonissa an den neuen Limes der Donau verlegt wurde, auch kein Grenzland mehr. Mit der Ansiedlung erster Veteranen zu Cäsars Zeit und den danach ständig intensivierten Kontakten mit Italien waren südliche Kultur und Lebensstil, nicht zuletzt auch neue Anbauformen und Landwirtschaftsprodukte nach und nach eingeflossen und heimisch geworden. Längst hatte die Romanisierung, über die Städte, allen voran über den helvetischen Hauptort Aventicum (Avenches) hinaus, die umliegende Landschaft erfasst. Zwischen dem Rhein und dem Genfersee standen nunmehr Hunderte von kleinen und grossen, schlichten oder prächtigen Gutshöfen, die nicht selten mit Bodenmosaiken und Wandmalereien ausgestattet waren.

Die vor fünfzehn Jahren entdeckte römische Villa von Vallon (FR), an deren Stelle kürzlich ein attraktives kleines Museum der Öffentlichkeit übergeben worden ist (vgl. NZZ 28./29. 10. 00), nimmt unter den nördlich der Alpen liegenden antiken Gutshöfen eine besondere Stelle ein. Dies zunächst wegen der beiden ansehnlichen Mosaikböden, dann auf Grund der Bauform und der Baugeschichte. Der Grundriss dieser Anlage ist insofern ungewöhnlich, als er nicht symmetrisch ist, sondern L-förmig. Die mit grosser Sorgfalt durchgeführte Ausgrabung hat ergeben, dass hier um 10 n. Chr., als auch das unweit nordöstlich liegende Aventicum in seinen Anfängen stand, in der Nähe eines Tonlagers ein einzelnes Haus errichtet wurde. Auch in der Folge lebte das Anwesen offenbar weniger von der Landwirtschaft als von der Tongewinnung: Ziegel dienten damals in den Städten Helvetiens oft als Baumaterial.

Diesem Haus fügte man fünfzig Jahre später im Süden einen Bau mit einer grossen zentralen Feuerstelle und schlichten Wohnräumen, wohl ein Personalhaus, an: Hier fand man sogar eine eiserne Fussfessel für Sklaven. Im Norden kam ein weiteres Gebäude - der kürzere, ostwestlich gerichtete Arm des L - dazu und schliesslich, hinter dem Küchenhaus, ein Kornspeicher. In den folgenden Jahrzehnten wurde die Anlage mehrmals erweitert und komfortabler gemacht: durch Säulenhallen, durch einen Garten mit Springbrunnen, durch heizbare Räume und durch Glasfenster. Ein elaboriertes Drainagesystem hielt das Grundwasser von den Fundamenten fern. Die Baugeschichte spiegelt also den wachsenden Wohlstand und den steten gesellschaftlichen Aufstieg der Besitzer zu einer Zeit, als nicht nur in dieser Gegend, sondern generell im Römischen Reich, Friede und Prosperität herrschten.

Den Höhepunkt im Werdegang der Villa markieren die beiden Bodenmosaiken. Das ältere, kurz vor 200 entstandene, schmückt den grössten Raum im Nord-Süd-Flügel, einen ursprünglich mit Holzgestellen für die Archive und einem Hausheiligtum ausgestatteten Apsidensaal. Die Mitte des Steinteppichs bildet die Darstellung der von einer bekränzten männlichen Figur entdeckten schlafenden Ariadne. Von links und von rechts nahen in eigenen Sechseckfeldern zwei Eroten. Weiter sind Frauenbüsten, Theatermasken, blumenartige und abstrakte Medaillonmotive zu sehen. Kleinere Felder im Apsisbereich weisen ebenfalls auf die verheissungsvolle Welt des Dionysos hin.

Der grössere Mosaikboden, der nach 200 datiert wird, findet sich im Hauptraum des Ost-West-Traktes. Er ist nicht weniger sorgfältig verlegt, aber im Stil deutlich spröder: Die Spätantike ist näher. Auch hier sind alle einzeln gerahmten Figuren - Dompteure, Jäger, wilde Tiere, ein Jagdhund - einem einzigen Thema zugeordnet: der Jagd bzw. der Auseinandersetzung des Menschen mit den ungezähmten Kräften der Wildnis. Es ist für diese Phase der Kunst typisch, wie aus verschiedenen szenischen Zusammenhängen herausgelöste Figuren in ein neues ornamentales System eingefügt wurden. Das Bunte der Bilder wird durch die gekonnte Kombination von farbigem Kalkstein mit Ton- und Glasteilchen erzeugt: Hier müssen erfahrene Mosaizisten am Werk gewesen sein, die sich sowohl technisch wie motivisch auf eine lange, bis in den hellenistischen Mittelmeerraum zurückreichende kunsthandwerkliche Tradition abstützten.

Selbstverständlich konnte sich ein solcher Kunsttransfer von Süden nach Norden erst zu einer Zeit abspielen, in der sich der Lebensstandard der nordalpinen Provinzen dem Niveau Italiens angeglichen hatte und eine Schicht wohlhabender, ehrgeiziger und auch gebildeter Auftraggeber entstanden war. Wohl mit Absicht wählte der Hausherr der Villa von Vallon das intimere dionysische Thema für den mehr persönlich gestimmten Hausteil, das Jagdsujet hingegen für den öffentlicheren Flügel, in dem eine Art Gäste- oder Zunfthaus vermutet wird. Den Übergang vom Hausinneren zum Garten markierte die aus zahllosen winzigen Fragmenten rekonstruierte Bemalung der Säulenhalle: mehrfarbige Rechteckfelder gliederten die Wand über einer Sockelzone mit spriessenden Grasbüscheln.

Es überrascht nicht, dass sich der Hauskult im privateren Wohnbereich abspielte. Und es ist für die fortgeschrittene Kaiserzeit auch in der Schweiz bezeichnend, dass der religiöse Kosmos nicht weniger vielschichtig und kosmopolitisch war als die Lebenswelt: Neben den Staatsgöttern Mars und Victoria und weiteren Repräsentanten des klassischen Pantheons erinnern kleine Tierfiguren aus Bronze - ein Bär, ein Hahn, ein Bock und eine Schildkröte - an offenbar noch nicht verschüttete keltische Traditionen. Besonders aufgefallen ist im selben Brandschutt des Larariums der Fund von Statuetten der Isis und des Harpokrates, Göttern aus Ägypten, die damals im ganzen Kaiserreich verehrt wurden.

Man konstatiert mit Freude, dass es im Museum von Vallon gelungen ist, die prächtigen Bodenmosaiken wohlgeschützt und dennoch gut sichtbar zu zeigen, ohne sie von ihrem architektonischen Rahmen zu lösen und von den vielen Mitfunden zu trennen, die den Alltag der antiken Villa evozieren: Keramik, Schmuck, Arbeitsgeräte, Baumaterial. Zusätzlich werden im ersten Stock ausgewählte archäologische Zeugnisse aus anderen Gegenden des Kantons Freiburg gezeigt, die dem interessierten Publikum sonst vorenthalten blieben.

Cornelia Isler-Kerényi

M. Fuchs: Vallon. Musée et mosaïques romaines. Guides archéologiques de la Suisse. Freiburg 2000. 68 S., Fr. 12.-.

NZZ vom 28. Oktober 2000 

Museum von Vallon


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