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NZZ, ZÜRICH UND REGION Freitag, 10.12.1999 Nr. 288  49

 

Grossbauern in römischer Zeit

Neue Erkenntnisse zur Siedlungsstruktur im Kanton Zürich

In den vergangenen vier Jahrzehnten hat die Kantonsarchäologie an verschiedenen Orten im Kanton Zürich Reste römischer Gutshöfe untersucht. Neben Dietikon und Neftenbach war auch eine Anlage in Buchs Gegenstand einer Rettungsgrabung. Zusammen mit dem, was aus früheren Forschungen, etwa zum Gutshof von Seeb, bereits bekannt war, haben sich damit die Hinweise zur Besiedlung des Kantons Zürich in römischer Zeit verdichtet.

 

rib. Im Kanton Zürich sind über vierzig Standorte von römischen Gutshöfen bekannt. Drei davon - Seeb, Dietikon und Neftenbach - sind von der Kantonsarchäologie in den letzten Jahrzehnten grossflächig untersucht und umfassend dokumentiert worden, bei zahlreichen anderen Anlagen beschränkten sich die Untersuchungen auf einzelne Gebäudereste, die von Bauvorhaben tangiert und daraufhin im Rahmen von Rettungsgrabungen aufgearbeitet wurden. Diese Befunde haben detaillierte Erkenntnisse zum Aufbau und zur inneren Organisation der römischen Gutshöfe geliefert; zudem lassen sie Rückschlüsse auf die Siedlungsstruktur im Kantonsgebiet in römischer Zeit zu. Obwohl die meisten dieser Anlagen bereits im 19. Jahrhundert entdeckt worden waren - einige sogar noch früher -, führten erst die mit modernen Untersuchungs- und Auswertungsmethoden durchgeführten Forschungen der letzten Zeit zu Ergebnissen, die sich zu einem zusammenhängenden Bild fügen.

 

Einheitliche Siedlungsanlage

Da an den erwähnten Orten erstmals grössere Flächen im Zusammenhang untersucht werden konnten, liessen sich deutlichere Vorstellungen von der Grösse der Gutshöfe und von den auf ihnen gepflegten Wirtschaftsformen gewinnen. Obschon mit dem Begriff Gutshof verschiedene archäologische Strukturen bezeichnet werden - vom kleinen Familienbetrieb bis zum grossbäuerlichen Anwesen -, folgen die meist am Anfang des ersten Jahrhunderts n. Chr. gegründeten Anlagen bei kleinen Abweichungen im Detail einem einheitlichen Bauschema: Alle zeigen ein längsrechteckiges, mit Hecken oder Zäunen umfriedetes Areal, das durch eine Quermauer oder durch entsprechend angeordnete Bauten in einen kleineren Wohnteil (pars urbana) und einen grösseren Wirtschaftsteil (pars rustica) unterteilt ist. Im Wohnteil befanden sich ein Wohngebäude - dessen Räume, wie etwa in Buchs, zum Teil mit Mosaiken und Wandmalereien ausgestattet waren - sowie ein Badehaus. In Dietikon fand sich zudem eine grosszügig gestaltete Gartenanlage. Im Wirtschaftsteil waren entlang der Umfassungsmauer die Ökonomiegebäude aufgereiht.

Die Grösse der Anwesen variiert beträchtlich: die Ummauerung der grössten bekannten Anlage im Kanton Zürich, des Gutshofs von Dietikon, umfasste eine Fläche von etwa 127 000 Quadratmetern, während die Areale von Seeb und Neftenbach rund 80 000 Quadratmeter gross waren. Die Grösse des zu den Höfen gehörigen Wirtschaftsgebiets liess sich bisher kaum zuverlässig bestimmen. Die ummauerte Fläche, das jedenfalls steht fest, war nur ein Bruchteil davon. In Neftenbach könnte dem Kerngelände ein Umland von rund 4000 Hektaren zugerechnet werden, von dem rund die Hälfte ohne grossen Aufwand intensiv hätte genutzt werden können. Auf Grund der geschätzten Zahl von Arbeitskräften, die auf dem Gut gelebt haben dürften, wird aber angenommen, dass bestenfalls zwischen 300 und 600 Hektaren Ackerland bebaut werden konnten; daneben wurden Wiesen und Weiden für die Viehzucht genutzt.

 

Rinderzucht und Hirschjagd

Bereits aus der Grösse und der Lage der Anwesen ergeben sich also erste Hinweise auf die landwirtschaftlichen Produktionsformen. Aus der Zusammenarbeit mit Vertretern verschiedener naturwissenschaftlicher Disziplinen, beispielsweise Archäozoologen und Archäobotanikern, konnten die Archäologen aber auch bestimmen, welche Tierarten auf den Höfen gehalten und welche Pflanzen angepflanzt wurden. In Neftenbach, so zeigte die Untersuchung von Knochenresten und organischen Überbleibseln, wurden nicht nur Rinder und Schweine gehalten, sondern zumindest zeitweise auch Hirsche gejagt. Zudem wurden verschiedene Gemüsesorten sowie Fruchtbäume angepflanzt. Man betrieb also eine vielfältige Mischwirtschaft - dies nicht zuletzt, um das Risiko bei Missernten in Grenzen zu halten. Denn die Gutshöfe waren nicht auf Subsistenzwirtschaft angelegt, sondern sollten ihrem Eigentümer möglichst grossen Gewinn einbringen. Die aus der Antike erhaltenen Schriften zur Landwirtschaft, etwa Catos und Varros Traktate, geben deutliche und selbst für heutige Verhältnisse erstaunlich harte Anweisungen zur Optimierung von Aufwand und Ertrag. Auch wenn diese Rezepte nicht ohne weiteres auf die Verhältnisse in einer Provinz übertragen werden dürfen, helfen sie doch mit, eine Vorstellung vom Leben auf einem landwirtschaftlichen Betrieb der römischen Zeit zu erhalten.

Durch die verschiedenen kleineren und grösseren Untersuchungen, welche die Kantonsarchäologie in den letzten Jahrzehnten durchführte, ergab sich ein recht differenziertes Bild der Besiedlung des Kantons Zürich in römischer Zeit. Die Lage der rund vierzig bekannten Gutshöfe widerspiegelt deutlich die damaligen wirtschaftlichen und verkehrstechnischen Verhältnisse. So konnte beispielsweise gezeigt werden, dass die Häufung von römischen Siedlungsresten im Furttal mit den dort gegebenen optimalen Verbindungen zum Legionslager Windisch (Vindonissa) zusammenhängt. 1995 gelang es der Kantonsarchäologie, in der Nähe von Otelfingen Teile der zu Beginn des ersten Jahrhunderts n. Chr. errichteten Verbindungsstrasse freizulegen, die von Windisch über Baden (Aquae Helveticae) nach Oberwinterthur (Vitudurum), Pfyn (Ad Fines) und von dort weiter nach Bregenz führte. Entlang dieser Strasse sind mehrere Siedlungen bekannt. Das Furttal wurde durch die einander in Hanglage gegenüberliegenden Gutshöfe von Buchs und Dällikon geprägt. Den beiden Talflanken entlang zogen sich ausserdem kleinere Bauten. In Abständen von rund zwei Kilometern reihen sich jedenfalls weitere Fundstellen, die auf Siedlungen hinweisen; ob es selbständige oder von den bekannten Grossanlagen abhängige Siedlungen sind, lässt sich gegenwärtig noch nicht entscheiden.

 

Neue Prospektionsmethoden

Die Kantonsarchäologie hat ihre Ergebnisse in den letzten zwei Jahrzehnten meistens im Rahmen von Rettungsgrabungen erarbeitet. Gegraben wurde also nur dort, wo es galt, Siedlungsspuren vor der Zerstörung durch Bautätigkeit zu bewahren. Um in solchen Situationen rasch und kostensparend handeln zu können, werden seit einiger Zeit neue Prospektionsmethoden eingesetzt, die es erlauben, ohne Ausgrabung zuverlässige Information über im Boden vorhandene Strukturen zu gewinnen. Als besonders hilfreich dafür hat sich die geophysikalische Prospektion erwiesen. Mit dem Boden-Radar - einem Bildgebungsverfahren, das dem in der Medizin verwendeten Ultraschall vergleichbar ist - lassen sich nicht nur Ausdehnungen in der Fläche, sondern auch die Tiefe von Strukturen bestimmen. Schon vor der Ausgrabung ist es also möglich, genaue Informationen über im Boden verborgene Baureste zu erhalten; Einzelfunde allerdings sind damit nicht zu erfassen.

Die modernen Methoden der Prospektion - zu denen auch die Auswertung von Flugbildern gehört - ist für die Archäologen eine wichtige Hilfe bei der Definition von archäologischen Zonen. Und je genauer diese auf Grund früherer Funde und der vermuteten Ausdehnung von Siedlungen bestimmten Zonen eingegrenzt werden können, desto präziser kann die Kantonsarchäologie ihren gesetzlichen Auftrag erfüllen und eingreifen, wenn Bauprojekte im Bereich bekannter Fundstellen anstehen - was auch im Interesse der Bauwilligen ist. Auf dem Gebiet des römischen Gutshofs von Dällikon etwa haben geophysikalische Prospektionen vor kurzem umfangreiche Mauerreste gezeigt, welche die Archäologen dazu zwingen, das Bild zu revidieren, das sie sich von der Lage der dortigen Gutshofanlage machten. Ohne aufwendige Grabungsarbeiten hat sich das Wissen über einen im Kanton weitverbreiteten Bautyp römischer Zeit also wesentlich erweitert. Dies in einem Gebiet, in dem die Siedlungssituation eine grossflächige Grabung ausschliesst und höchstens im Rahmen von Rettungsmassnahmen punktuelle Sondierungen möglich sind.

 

Monument und Ausflugsziel

Seit den sechziger Jahren konnten die Kenntnisse über das Aussehen und die Bewirtschaftung römischer Gutshöfe im Kanton Zürich stetig erweitert und vertieft werden. Die kürzlich publizierten Ergebnisse der in Neftenbach durchgeführten Arbeiten (NZZ 25. 11. 99) markieren dabei einen wichtigen Punkt, was die detaillierte Aufarbeitung und Auswertung kleiner und kleinster Hinweise betrifft - eine Arbeit, die ohne den Einsatz elektronischer Datenbanken nicht mehr denkbar wäre. Der weitaus grösste Teil der untersuchten Siedlungsreste sind heute nicht mehr zugänglich, sondern wurde durch Bautätigkeit zerstört. An zwei Stellen auf Kantonsgebiet allerdings sind noch immer Reste römischer Gutshöfe sichtbar: in Seeb und Buchs. Die während der sechziger Jahre unter Leitung des damaligen Kantonsarchäologen Walter Drack grossflächig freigelegten Ruinen von Seeb-Winkel sind heute ein vielbesuchtes Freilichtmuseum, während die in Buchs erhaltenen, eindrücklichen Reste des Herrenhauses - Teile eines unterirdischen Gangs mit Wandmalereien - kaum bekannt sind. Beide sind Zeugen einer für die Geschichte der Schweiz wichtigen Epoche, die durch die kontinuierliche wissenschaftliche Arbeit der letzten Jahrzehnte in wesentlichen Punkten erhellt wurde.

 Der römische Gutshof von Seeb-Winkel ist von Mitte März bis Ende Oktober jeweils von Montag bis Sonntag von 11 bis 17 Uhr geöffnet (Tel. 860 22 10). Die Wandmalereien in Buchs können gegen Voranmeldung das ganze Jahr über besucht werden (Anmeldung über die Kantonsarchäologie, Tel. 259 29 61). 

 
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Buchs
Kryptoportikus

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Seeb
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Seeb
Herrenhaus

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Seeb
Brunnenhaus

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Neftenbach
Gutshof

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