Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)

 

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NZZ ZÜRICH UND REGION Donnerstag, 25.11.1999 Nr. 275  50

 

 

Lebensspuren aus fünf Jahrhunderten

Eine Publikation zum römischen Gutshof in Neftenbach

Ein Quartierplan gab in Neftenbach 1986 den Anlass für eine der grössten Ausgrabungen, die von der Kantonsarchäologie Zürich je durchgeführt wurden. Bis gegen die Mitte der neunziger Jahre wurden auf der Flur Steinmöri Überreste eines römischen Gutshofs untersucht. Mit der Publikation der Ergebnisse sind die Arbeiten nun abgeschlossen worden.

 

rib. Die Erschliessung und Aufarbeitung von archäologischen Fundplätzen erstreckt sich nicht selten über lange Zeit. In der Flur Steinmöri in Neftenbach waren Ende des 18. Jahrhunderts Überreste eines römischen Gutshofs entdeckt und 1780 im Auftrag der Zürcher Regierung zum Teil freigelegt worden. Trotz diesen Untersuchungen geriet die genaue Lage des Platzes bald wieder in Vergessenheit; kleinere Grabungen, die seit der Mitte dieses Jahrhunderts durchgeführt wurden, brachten kaum neue Ergebnisse. 1985 schliesslich wurde die Kantonsarchäologie darauf aufmerksam gemacht, dass das Areal, auf dem man seinerzeit die Überreste des Gutshofs gefunden hatte, zur Bauzone erklärt worden war und dass ein Quartierplanverfahren hängig sei. Nach Absprache mit Grundeigentümern, Behörden und Bauherrschaft wurden die Rettungsgrabungen unverzüglich aufgenommen. Bereits die ersten, im Zusammenhang mit Kanalisations- und Strassenbauten durchgeführten Arbeiten brachten wichtige Informationen. Durch sie konnte die südwestliche Begrenzung der Anlage lokalisiert werden, und der wohl spektakulärste Fund der gesamten Kampagne wurde zutage gefördert: ein Münzhort aus dem dritten Jahrhundert nach Christus.

 

Abschluss einer dreizehnjährigen Arbeit

Bis 1990 wurde eine Fläche von rund 27 000 Quadratmetern untersucht - ungefähr ein Drittel der geschätzten Gesamtfläche des Gutshofareals -, und es wurden 28 Gebäude freigelegt. Parzelle für Parzelle wurde der Boden in der Reihenfolge der eingegangenen Baugesuche bearbeitet, ein Vorgehen, das die Untersuchungen bisweilen erschwerte, da es dem Beobachten grösserer zusammenhängender Flächen sehr enge Grenzen setzte. Da sich die Grabungen auf die Bauzone beschränkten, konnten zudem an einzelnen Stellen, etwa im Bereich des Herrenhauses, nicht alle fassbaren Gebäudereste untersucht werden, sondern nur einzelne Partien. Nach Abschluss der Feldarbeiten begann 1991 die Auswertung der Funde. Bis 1994 wurde sie noch mehrmals durch kleinere Ausgrabungen unterbrochen, die durch weitere Bauvorhaben am Rand des Areals notwendig geworden waren. Mit dem Erscheinen der umfangreichen, von Projektleiter Jürg Rychener herausgegebenen Grabungspublikation ist die grossangelegte Grabung - eine der grössten, welche die Kantonsarchäologie Zürich je durchführte - nun abgeschlossen worden. Die Präsentation des zweibändigen Werks hat am Mittwoch in Neftenbach den Schlusspunkt unter eine dreizehnjährige Arbeit gesetzt, welche nicht nur für den Kanton Zürich, sondern für die Siedlungsgeschichte der römischen Schweiz überhaupt von Bedeutung ist.

Auf Grund der Untersuchungen konnten in der Anlage sieben Siedlungshorizonte unterschieden werden, die in der Zeit zwischen 30 vor Christus und dem Anfang des vierten Jahrhunderts nach Christus entstanden. Bereits das erste, relativ kleine und vollständig aus Holz gebaute Bauernanwesen ist in zahlreichen Einzelheiten rekonstruierbar. Um die Mitte des ersten Jahrhunderts brannte das Zentralgebäude ab, und es wurde eine neue Ansiedlung errichtet, die alle Charakteristika eines römischen Gutshofes zeigt: ein grosses eingezäuntes Areal, unterteilt in einen Wohnteil (pars urbana) mit Haupthaus, Badegebäude und einigen Nebenhäusern und einen Wirtschaftsteil (pars rustica) mit der Umfriedung entlang aufgereihten Ökonomiegebäuden. Wenige Jahrzehnte später, also bereits gegen Ende des ersten Jahrhunderts nach Christus, wurde der Gutshof weiter ausgebaut. Die Holzgebäude wurden abgebrochen, und es entstand ein grösseres, repräsentatives Herrenhaus aus Stein mit Seitenflügeln, Portikus, Hof und einem kleinteiligen, nach Süden hin orientierten Wohnbereich, das den Bereich des Besitzers deutlich vom Landwirtschaftsteil trennte und die besondere soziale Position des Besitzers betonte.

Dieser steinerne Gutshof scheint bis in die Mitte des dritten Jahrhunderts in Betrieb gewesen zu sein. Während dieser Zeit sind zwar an verschiedenen Gebäuden Umbauten oder Erweiterungen festzustellen, in der Gesamtanlage lassen sich aber kaum wesentliche Änderungen ausmachen. Als letztes im Wirtschaftsteil errichtetes Gebäude ist ein Tempel fassbar, in der letzten Phase, gegen Ende des dritten Jahrhunderts, verwischen sich die Befunde. Ob das Herrenhaus abgebrannt ist oder durch ein Erdbeben zerstört wurde, lässt sich nicht entscheiden. Jedenfalls scheint nach der Mitte des dritten Jahrhunderts in einem der Ökonomiegebäude ein Kleinbauernbetrieb eingerichtet worden zu sein, während andere Gebäude weiter bewohnt und auch der Tempel nach wie vor benutzt wurde. Bis Anfang des vierten Jahrhunderts war die Siedlung bewohnt. Dann wurden alle Gebäude durch Brand zerstört, ohne dass gesagt werden könnte, ob dies gleichzeitig oder in Etappen geschehen wäre.

 

Überreste wirtschaftlicher Tätigkeiten

Die Besonderheit der Befunde von Neftenbach liegt darin, dass bei der Untersuchung dieses mittelgrossen Gutshofs der Schwerpunkt erstmals auf den Ökonomieteil gelegt wurde. So ergibt sich nicht nur für die Baugeschichte ein recht präziser Befund, auch die wirtschaftlichen Tätigkeiten auf dem Hof werden erkennbar. Knochenreste und Überbleibsel von Pflanzen zeigen, dass in Neftenbach Viehzucht betrieben wurde - man hielt vor allem Rinder und Schweine - und daneben beispielsweise Sellerie, Ackerbohnen und Linsen angebaut, Fruchtbäume angepflanzt und in kleinerem Umfang auch gewerbliche Tätigkeiten ausgeübt wurden. Die gefundenen Überreste von Herdstellen und Räucheröfen machen deutlich, dass auch Fleisch konserviert sowie Getreide und andere Produkte gedörrt werden konnten. So viele Fragen auch nach der Auswertung offenbleiben und so interpretationsbedürftig die Ergebnisse im einzelnen auch sind: Die untersuchten Lebensspuren geben in vielem ein erstaunlich deutliches Bild des Lebens auf einem römischen Gutshof während fünf Jahrhunderten.

 Jürg Rychener: Der römische Gutshof in Neftenbach (Monographien der Kantonsarchäologie. 31). Verlag Fotorotar, Zürich/Egg 1999. Bd. 1 (Text) 533 S., 837 Abb.; Bd. 2 (Katalog, Tafeln, Tabellen) 433 S. Beide Bände zusammen Fr. 189.- (Subskriptionspreis bis 31. Januar 2000 Fr. 159.-).

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