Chemie und Kunst: Pigmente

Einleitung

Die Unterrichtseinheit wurde in der Form eines Wahlfachkurses (Zwei Wochenstunden während eines Semesters) an der Kantonsschule (Gymnasium) im Baden in der Schweiz erprobt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer rekrutierten sich aus der Literarabteilung (Alte Sprachen) unseres Gymnasiums. Selbständige Arbeit im Chemielabor und auch Erfahrungen mit WWW waren für die meisten von ihnen ein Novum.

Zielsetzung

Erforschung der stofflichen Grundlagen der Malerei steht im Mittelpunkt dieser fächerübergreifenden Unterrichtseinheit. Die Lernatmosphäre sollte durch das Spannungsfeld der Gegensätze, der Berührungspunkte und Wechselwirkungen zwischen der Chemie als einer exakten Wissenschaft und der Kunst geprägt sein. Die Beschäftigung mit den modernen Informationstechnologien sollte nicht nur die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Lernenden in diesem Bereich schulen, sondern auch die völlig neuartigen Möglichkeiten der Informationsbeschaffung und vor allem ihrer Aufarbeitung aufzeigen. Die Erforschung der Grenzen der neuesten Technologien dürfte wohl nicht eine minder wichtige Rolle in der Bildung der jungen Menschen spielen.

Beschreibung der Unterrichtseinheit

Inhalt

Der erste und der umfangreichste Teil ist den Pigmenten gewidmet. Wir haben zuerst 15 anorganische Malerfarben selber im Labor hergestellt und dabei Kenntnisse aus der anorganischen Chemie - Fällungsvorgänge, Säure/Basen-Chemie, Komplexchemie, etc. - gefestigt und angewendet. Die hergestellten Pigmente haben wir fotografiert, die Abbildungen anschliessend digitalisiert und in einer Tabelle (Pigmente aus eigener Herstellung) zusammengefasst. Pigmente, deren Herstellung für uns nicht möglich war, haben wir bei der schweizer Vertretung der Firma Kremer Pigmente erstanden und in einer Gesamtdarstellung abgebildet.

Unter der Anleitung eines Lehrers für das Fach bildnerisches Gestalten haben wir gelernt mit unseren Pigmenten zu malen. Wir haben die Temperatechnik angewendet und die Ausmalungen sowohl der von uns hergestellten Pigmente als auch der gekauften Pigmente getrennt dargestellt. In der nächsten Tabelle (Pigmente: Übersicht) kann man sich über die Namen, chemische Formeln und Entdeckungsdaten der wichtigsten Malerfarben informieren. Hier wird auf Tabellen verwiesen, in denen die genauen Angaben zu den einzelnen Pigmenten (Molekülmodelle, Abbildungen, Spektren, geschichtliche Angaben und schliesslich die Synthesevorschriften derjenigen Pigmente, die von den Schülerinnen und Schülern hergestellt worden sind) enthalten sind. Die meisten dieser Tabellen verweisen ebenfalls auf beispielhafte, mit diesen Pigmenten gemalte Gemäldeabbildungen. Die letzte Tabelle: Geschichte der Verwendung beschreibt die Verfügbarkeit der Pigmente in den verschiedenen Stilepochen der Malerei.

Im zweiten Teil wird das Augenmerk auf die Anwendung der Pigmente in der Malerei gerichtet. Die Tabelle (Gemälde: Pigmentanalysen) zeigt die wichtigsten Beispiele von Gemälden, deren Pigmentanalysen in der Literatur zu finden sind. Verweise in dieser Tabelle führen zu einer Auswahl dieser Bilder mit von uns angefertigten Illustrationen der Pigmentanalysen.

Nun waren wir in der Lage, Zusammenhänge zwischen der Entwicklung der Malerei und der Verfügbarkeit der Pigmente in den verschiedenen Epochen zu erkennen. So konnten wir beispielsweise die Frage diskutieren, inwiefern die stilistischen Unterschiede zwischen den Gemälden der Renaissance und des Impressionismus auf die Entdeckung neuer Pigmente (Chromgelb, Cadmiumgelb, Schweinfurter Grün, Kobaltblau und Chromoxidgrün) im 19. Jahrhundert zurückzuführen sind.

Eine Zusammenstellung der wichtigsten in dieser Arbeit verwendeten Ressourcen findet sich schliesslich im dritten und letzten Teil der Unterrichtseinheit.

Eine Exkursion zum Schweizerischen Institut für Kunstgeschichte in Zürich bot uns einen Einblick in die wissenschaftlichen Methoden zur Untersuchung von Kunstgegenständen an.

Einsatz der neuen Informationstechnologien

Die besondere Eignung des Themas "Chemie und Kunst" zum Einsatz der modernen Informationstechnologien ist wohl nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Die folgenden Ausführungen sollen zeigen, in welchen Aspekten unserer Arbeit diese Technologien einen nicht marginalen qualitativen Vorteil einbrachten.

Die anfängliche Suche nach themenrelevanter Literatur kann grösstenteils im elektronischen Katalog der örtlichen Universitätsbibliothek, im englischsprachigen Journal of Chemical Education online erledigt werden. Die Suche nach den Herstellungsvorschriften für Pigmente bringt oft alte Literaturzitate zutage. Die verwendete Nomenklatur ist den Lernenden und meist auch den Unterrichtenden ein Rätsel. Hierfür kann das Lexikon der archaischen chemischen Ausdrücke konsultiert werden. Die benötigten Chemikalien für diese Versuche können online bestellt werden (Sigma-Aldrich. Einige der verwendeten Ausgangsstoffe sind toxikologisch nicht unbedenklich, die Informationen zum Umgang mit diesen Substanzen findet man bei den MSDS-Anbietern (Material Safety Data Sheets = Sicherheitsdatenblätter). Sollte die Herstellung einzelner Pigmente in der Schule Schwierigkeiten bereiten, können diese bei spezialisierten Firmen online geordert werden. Die WWW-Sites anderer Pigmentlieferanten enthalten auch Abbildungen der Pigmente, welche wir mit den eigenen Bildern der von uns hergestellten Malerfarben vergleichen konnten.

Digitale Kopien von Gemälden können in guter Qualität in einer der vielen Webgalerien betrachtet werden. Die Suche nach einem bestimmten Bild oder nach Informationen über Künstler wird dabei durch Einrichtungen wie Artcyclopedia und Art Ressources on the Web erleichtert.

Der Einsatz der modernen Informationstechnologien in dieser Unterrichtseinheit kann auf drei verschiedenen Ebenen begründet werden.

  • Die Kompetenz der Lernenden im Umgang mit wichtigen Werkzeugen für ihre spätere Hochschulausbildung und berufliche Laufbahn wird gefördert, Schwellenängste in diesem Bereich können abgebaut werden.
  • Der fachgerechte Einsatz des World Wide Web erschliesst qualitativ neue Wege der Informationsbeschaffung, die weit über einen Ersatz einer Bibliothek hinausreichen. Das Erfahren der Grenzen und der Nachteile des Web soll naturgemäss hierbei nicht ausgeklammert werden.
  • Die Hypertext-Technologie ermöglicht schliesslich die Vernetzung der zusammengetragenen Informationen zu einem Ganzen und wertet die Fülle der einzelnen Mosaiksteine auf. Die Arbeit an der hierarchischen Struktur eines solchen Dokumentes und Erstellen von Verknüpfungen innerhalb und ausserhalb (zum WWW) des Dokumentes sind ein sehr effektives Mittel zur Schulung der Abstraktionsfähigkeit und des vernetzten Denkens.

Zusammenarbeit mit anderen Institutionen

Bei der Suche nach Informationen im WWW begnügten wir uns nicht mit dem Auffinden interessanter Sites, wir nützten die Möglichkeiten der schnellen und unkomplizierten Kommunikation (e-mail) und traten in Kontakt mit mehreren Institutionen und Einzelpersonen, welche sich mit ähnlicher Thematik beschäftigten. Solche Kontakte entwickelten sich in mehreren Fällen zu einer echten Zusammenarbeit.

Professor M. Henchman von der Brandeis University in den USA und sein ehemaliger Student und Webdesigner, M. Douma (WebExhibits), haben Interesse an unseren Materialien bekundet. M. Douma programmierte zuerst unsere Datenbank der Pigmentanalysen von Gemälden für den Gebrauch im WWW. Nun kann man online nach Pigmenten, die von einem Maler verwendet worden sind suchen, die Paletten verschiedener Maler vergleichen und andere Recherchen der etwa 500 enthaltenen Pigmentanalysen durchführen. Im zweiten Teil unserer Zusammenarbeit haben wir die Materialien über Pigmente ins Englische übersetzt und auf dem gleichen Server im WWW zugänglich gemacht (Pigments through the Ages).

Eine ganz moderne Website von Juraj Lipscher über Pigmente, Pigmentanalysen und die wissenschaftliche Methoden zur Untersuchung von Gemälden mit dem Namen ColourLex wurde Ende 2014 ebenfalls online gestellt. Thomas Seilnacht aus Tuttlingen in Deutschland ist der Author des Pigment Lexikons. Nach anfänglichem Austausch von Ideen und Materialien besuchte uns Herr Seilnacht in Baden und wir haben konkrete Pläne für eine gemeinsame deutschsprachige Site über Pigmente geschmiedet.

Peter Koneczny ist Kunstrestaurator und arbeitet mit der Tate Galerie in London zusammen. Er besitzt auch eine der grössten Pigmentsammlungen in der Welt und will seine Kenntnisse und sein wissenschaftliches Material zu diesem Thema ebenfalls im WWW einem breiten Publikum zugänglich machen. In seiner Site, welche etwa im Sommer dieses Jahres online gestellt wird, werden ebenfalls einige unserer Materialien integriert sein.

Didaktische Erfahrungen

Schülerinnen und Schüler arbeiteten in Gruppen zuerst an der Herstellung der Malerfarben. Die motivierende Wirkung der schieren Schönheit der zubereiteten Pigmente blieb nicht hinter meinen Erwartungen zurück. Sie übten sich in der Stöchiometrie und in der Handhabung von Laborgeräten und lernten eine ganze Fülle chemischer Reaktionen kennen. Modellhafte Diskussion der Zusammenhänge zwischen der Struktur der Pigmente und ihrer Farbe ergänzte diesen eher praxisorientierten Teil unserer Arbeit.
Im zweiten Teil des Kurses suchte sich jede der Gruppen zwei bis drei Gemälde aus verschiedenen Epochen und beschäftigte sich mit ihrer Pigmentanalyse. Das anvisierte Ergebnis dieser Bemühungen war ein Gemälde mit einer im Bild integrierten Pigmentanalyse. Hierzu suchten die Gruppenmitglieder die Bilder im WWW und fügten die Namen der verwendeten Pigmente an den entsprechenden Stellen mit Hilfe eines Bildbearbeitungsprogramms ein. Das Erkennen der wechselseitigen Beziehungen zwischen den schönen Künsten und den exakten Wissenschaften, sowie der Parallelen in der Kunst- und Wissenschaftsgeschichte hatte für die Schülerinnen und Schüler der Literarabteilung (nach ihrer eigenen Aussage) einen besonders hohen Bildungswert. Das Zusammenfügen der Einzelbeiträge zu einem Ganzen und vor allem die Vernetzung der Inhalte des Dokumentes forderte einen intensiven intellektuellen Einsatz aller Beteiligten.