Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)

 

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© Tagesanzeiger Wissen, 13. September 2001, Seite 48

 

Der Prophet Hawking

In seinem neuen Buch sinniert Stephen Hawking über die Weltformel und die Zukunft der Menschheit.

Von Frank Grotelüschen

Er ist der berühmteste Physiker seit Albert Einstein: Stephen Hawking, durch eine unheilbare Krankheit an den Rollstuhl gefesselt, gilt vielen als das grösste Genie unserer Tage. Sein 1988 verfasstes Sachbuch "Eine kurze Geschichte der Zeit" ist das erfolgreichste populärwissenschaftliche Werk überhaupt. Nun erscheint der Nachfolger: In "Das Universum in der Nussschale" schreibt Hawking erneut über Weltformeln und Elementarteilchen, betritt aber auch für ihn unbekanntes Terrain. In gewagten Thesen sinniert der 55-jährige Brite über eine Zukunft der Menschheit, die bestimmt ist von gentechnisch optimierten Embryonen und hyperintelligenten Computern.

Der thematische Ausgangspunkt ist derselbe wie beim erfolgreichen Erstling. Seit Jahrzehnten schon fahnden die Physiker nach der so genannten Weltformel - einer allumfassenden Theorie, die sowohl das Treiben der kleinsten Materieteilchen trefflich beschreibt als auch die Dinge im Grossen, das Schicksal des gesamten Universums. Für Mikro- und Makrokosmos gibt es zwei berühmte Theorien: Albert Einsteins allgemeine Relativitätstheorie beschreibt, auf welche Weise sich Planeten um die Sonne drehen. Die Quantentheorie sagt aus, was zwischen Atomen und subatomaren Teilchen passiert.

Widerspruch im Schwarzen Loch

Für sich gesehen sind beide Modelle absolut schlüssig. Doch als die Physiker sie miteinander kombinieren wollten, zeigte sich ein grundlegendes Problem: Dort, wo eigentlich beide Theorien gelten müssten, etwa in einem Schwarzen Loch oder beim Urknall, widersprachen sich ihre Aussagen ganz und gar - die Physik war an ihre Grenzen gestossen. Eine neue, übergeordnete Theorie ist vonnöten, eine allumfassende Theorie.

Diese Wunderformel könnte nun gefunden sein, hofft Hawking. Sie heisst M-Theorie und geht nicht von punktförmigen Urpartikeln aus, sondern von Materiebausteinen, die eine gewisse Ausdehnung besitzen. Laut Theorie könnten es Strings sein, eindimensionale Fädchen, die ähnlich einer Violinsaite schwingen und dadurch die uns bekannten Teilchen bilden sollen, Elektronen etwa und Quarks. Ebenso denkbar ist jedoch, dass so genannte Branes als die Elementarbausteine der Materie fungieren. Das sind mehrdimensionale Urgebilde, die sich gleich zitternden Membranen durch Raum und Zeit bewegen.

Grösseres Gehirn dank Gentechnik

Hier tritt das Problem des Buches deutlich zu Tage: Die zeitgenössische theoretische Physik ist dermassen formal und unanschaulich, dass dem Laien oft nur ehrfürchtiges Staunen bleibt. Gedanklich durchdringen kann er das Feld nicht, da helfen auch die hübschen Illustrationen nur bedingt. Er vermag lediglich an der Faszination teilzuhaben, die diesem Forschungsfeld zweifelsohne anhaftet.

Eine Ausnahme bildet das Kapitel "Unsere Zukunft - Star Trek oder nicht?" Hier verlässt Hawking vertrautes Gelände, um mit durchaus blühender Fantasie über kommende Epochen zu spekulieren. Die Frage lautet: Werden die Menschen zukünftiger Jahrhunderte noch genauso denken und aussehen wie wir? Nein, meint Hawking. Wir werden uns damit abfinden müssen, dass man Homo sapiens in absehbarer Zeit "veredeln" werde - mit Hilfe der Gentechnik. So spekuliert Hawking, dass Föten im Jahre 2100 auch ausserhalb des Mutterleibs reifen können. Da sich die Babys dann nicht mehr durch den Geburtskanal zwängen müssen, wird man ihnen per Gentechnik ein grösseres Gehirn verpassen. Der Mensch, da ist sich der Physiker sicher, wird seiner eigenen Evolution auf die Sprünge helfen. Für Stephen Hawking scheinen derartige Visionen ihren Reiz zu haben. Inwieweit sie seinen Lesern behagen, bleibt abzuwarten.

Stephen Hawking: Das Universum in der Nussschale. 224 S., 44.50 Fr. Hoffmann und Campe, Hamburg 2001.

 

 

 


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