Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)

 

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NZZ 13. Dezember 2000

 

Glossar zur Quantentheorie

Spe. Der Begriff der Komplementarität wurde 1927 von Niels Bohr geprägt. Nach Ansicht von Richard Feynman verbirgt sich dahinter das wesentliche Mysterium der Quantentheorie. Die vielleicht bekannteste Manifestation der Komplementarität ist der sogenannte Welle-Teilchen-Dualismus. Demnach offenbaren sich mikroskopische Objekte wie Elektronen oder Photonen mal als Welle und mal als Teilchen. Beide Aspekte schliessen sich gegenseitig aus. Und doch liefern erst beide zusammen eine vollständige Beschreibung eines Objekts. Lange Zeit glaubte man, dass die Komplementarität eine unmittelbare Folge der Heisenberg'schen Unschärferelation ist (siehe unten). Schon Bohr beharrte allerdings auf der Eigenständigkeit des Komplementaritätsprinzips. Experimente der letzten Jahre scheinen ihm Recht zu geben. So konnte der Welle-Teilchen- Dualismus auch in Situationen beobachtet werden, in denen die Heisenberg'sche Unschärferelation nicht zur Geltung kommt (ohne deshalb ungültig zu sein).

Heisenberg'sche Unschärferelation

Im Jahr 1927 stellte der damals 25-jährige Werner Heisenberg eine Beziehung auf, die der Genauigkeit, mit der man den Ort und den Impuls eines Teilchens gleichzeitig messen kann, strikte Grenzen auferlegt. Diese Unschärfe ist nicht etwa eine Folge der unvermeidlichen Störung, die das Teilchen beim Messprozesses erfährt. Vielmehr muss man davon ausgehen, dass ein quantenmechanisches Objekt nicht gleichzeitig einen scharfen Ort und einen scharfen Impuls besitzt. Durch die Heisenberg'sche Unschärferelation kommt ein Element der Unbestimmtheit in die Welt. Denn wenn es noch nicht mal möglich ist, den gegenwärtigen Zustand eines Objekts genau (im klassischen Sinn) zu messen, lässt sich auch seine Zukunft nicht exakt vorhersagen.

Die Rolle des Zufalls

In der klassischen Physik greift man im Allgemeinen dort zu wahrscheinlichkeitstheoretischen Begriffen, wo es um das Verhalten vieler Teilchen geht. Ein Beispiel ist die thermodynamische Beschreibung von Gasen. Indem man über alle Teilchen mittelt, erspart man es sich, die Impuls- und die Ortskoordinaten jedes einzelnen Gasatoms zu ermitteln. Im Prinzip wäre das aber möglich. Ganz anders in der Quantentheorie: Hier lassen sich selbst über das einzelne Teilchen nur Wahrscheinlichkeitsaussagen machen. Die sogenannte Wellenfunktion beschreibt den Zustand eines Teilchens auf bestmögliche Weise. Und trotzdem lässt sich aus dieser Funktion nicht exakt berechnen, wo oder mit welchem Impuls man das Teilchen bei einer entsprechenden Messung finden wird. Der Zufall ist also ein inhärentes Element der Quantentheorie und kann auch durch genauere Beobachtungen nicht eliminiert werden.

In der Vergangenheit hat es verschiedentlich Versuche gegeben, die Unbestimmtheit der Quantentheorie auf das Wirken «verborgener Parameter» zurückzuführen. Dass man über den Ort und den Impuls eines Teilchens nur Wahrscheinlichkeitsaussagen machen kann, wäre demnach doch eine Folge unserer Unkenntnis. Wüsste man nämlich, welchen Wert diese Parameter im Augenblick einer Messung besitzen, könnte man den Ausgang der Messung exakt vorhersagen. Heute weiss man, dass solche Theorien verborgener Parameter nur unter einer Bedingung möglich sind: Die Theorien müssen wie die Quantentheorie nicht-lokal (siehe unten) sein. Es gibt also definitiv kein Zurück zur klassisch-lokalen Physik.

Nichtlokalität

Einer der wesentlichen Punkte, in dem sich die Quantentheorie von der klassischen Physik unterscheidet, ist ihr nicht-lokaler Charakter. Wenn man zwei klassische Objekte weit genug voneinander entfernt, darf man sie als unabhängig betrachten. Die Eigenschaften des einen Objekts werden dann nur noch durch lokale Begebenheiten beeinflusst, nicht aber dadurch, was im gleichen Augenblick mit dem anderen Objekt geschieht. In der Quantentheorie gibt es jedoch Situationen, in denen eine Trennung eines Ganzen in seine Teile nicht möglich ist. So lassen sich Paare von Photonen in einen «verschränkten» Zustand präparieren, indem zwar die Eigenschaften des Gesamtsystems festgelegt sind, nicht aber die seiner Teile. Entfernen sich nun die Photonen voneinander, bleiben zwischen ihnen nicht-lokale Korrelationen bestehen, die sich bei einer Messung auf kuriose Weise äussern. Die Messung an einem der beiden Photonen legt nämlich augenblicklich auch die Eigenschaft des anderen Photons fest, und zwar unabhängig davon, wie weit dieses entfernt ist.

Schrödingers Katze

Im Jahr 1935 legte Erwin Schrödinger in einem Gedankenexperiment dar, warum er sich nicht mit der gängigen Deutung der Quantentheorie abfinden mochte. Schrödinger stellte sich eine Katze vor, deren Schicksal vom Zerfall radioaktiver Atomkerne, also von einem quantenmechanischen Zufallsereignis, abhängt. Welche Aussage lässt sich nach einer Stunde über den Zustand der Katze machen, wenn man es so einrichtet, dass in dieser Zeit mit fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit einer der Atomkerne zerfällt und einen tödlichen Mechanismus auslöst? Nimmt man die Quantentheorie beim Wort, sollte die Katze nach einer Stunde sowohl tot als auch lebendig sein. Ihr Schicksal entscheidet sich erst, wenn sich die Waagschale durch den Akt der Beobachtung zur einen oder zur anderen Seite neigt. Eine solche Schlussfolgerung erschien Schrödinger absurd.

Schrödingers Katze beschäftigt Physiker auch heute noch. Durch Experimente hat man in den letzten Jahren herausgefunden, dass die Überlagerung von zwei sich ausschliessenden Zuständen durch einen als Dekohärenz bezeichneten Prozess gestört wird. Verantwortlich hierfür ist die Wechselwirkung eines Objekts mit seiner Umwelt - und die ist im Allgemeinen um so stärker, je grösser das Objekt ist. Für Schrödingers Katze bedeutet das: Das quantenmechanische «Sowohl-als-auch» würde auch ohne Beobachtung innerhalb kürzester Zeit in ein klassisches «Entweder-oder» übergehen.

 

 


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