Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)

 

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NZZ 13. Dezember 2000

 

Von der Glühbirne zum Laser

Ohne Quantentheorie blieben viele Dinge unserer Alltagswelt rätselhaft

Obwohl die Quantenmechanik in der Alltagserfahrung keine Rolle spielt, sind ihre Folgen allgegenwärtig. Denn weder die Stabilität der Materie noch die Eigenschaften von Solarzellen, Transistoren, Lasern und Supraleitern können mit den Gesetzen der klassischen Physik hinreichend erklärt werden.

Die Bedeutung der Quantenmechanik für unsere Alltagserfahrung wird oft selbst von Physikern gering geschätzt. Im Grunde wirke sie sich nur in der mikroskopischen Welt der Elementarteilchen aus; für das Verständnis unserer Umwelt sei nach wie vor die klassische Physik ausreichend, lautet eine zwar weit verbreitete, aber falsche Ansicht. Denn alleine die Tatsache, dass quantenmechanische Effekte in der Regel nicht direkt wahrgenommen werden können, bedeutet noch lange nicht, dass sie für unsere Umwelt ohne Bedeutung wären. Weder der Transistor noch die Funktion eines Kernkraftwerks oder einer Solarzelle kann ohne die Quantenmechanik verstanden werden. Und selbst das Lichtspektrum einer simplen Glühbirne bliebe ein Rätsel, wenn nicht Max Planck vor 100 Jahren sein berühmtes Strahlungsgesetz gefunden hätte.

Sichtbare Konsequenzen der Quantelung

Der Versuch, dieses Gesetz auf eine solide Grundlage zu stellen, führte Einstein zur sogenannten Lichtquantenhypothese. Ihre zentrale Aussage, dass Licht in quantisierten Einheiten, den Photonen, abgestrahlt wird, kann auf Photographien direkt beobachtet werden. So werden extrem unterbelichtete Fotos nicht einfach nur dunkler, sondern auch körniger, weil die Anzahl der auf den Film treffenden Photonen nicht mehr ausreicht, um eine homogene Schwärzung des Films zu erreichen - eine direkte Folge des Teilchencharakters des Lichts.

Doch die Bedeutung der Quantenmechanik reicht weit über solche Beispiele hinaus. So grundlegende Prozesse wie die Fusion von Wasserstoff zu Helium in der Sonne kann nur mit Hilfe des Tunneleffekts erklärt werden. Dieser quantenmechanische Effekt ist auch dafür verantwortlich, dass in den Sternen neben Helium auch schwerere Elemente entstehen konnten. Die chemischen Eigenschaften von Atomen und Molekülen und auch die Ordnung des Periodensystems der Elemente kann ebenfalls nur quantenmechanisch verstanden werden. Laut den Regeln der klassischen Physik würden die um den Atomkern kreisenden Elektronen nämlich kontinuierlich Energie verlieren und innerhalb kürzester Zeit in den Kern stürzen - die Materie wäre nicht stabil. Ob belebt oder unbelebt, die Natur würde anders aussehen, wenn nicht die Quantenmechanik viele grundlegende Prozesse steuern würde. Warum aber spielt die Quantenphysik in unserer Alltagserfahrung trotzdem fast keine Rolle? Warum können wir von makroskopischen Objekten wie einem Pingpongball jederzeit angeben, an welchem Ort er sich befindet und mit welcher Geschwindigkeit er sich bewegt, während sich ein quantenmechanisches Objekt gleichzeitig an mehreren Orten befinden kann?

Ursache dieses eigentümlichen Verhaltens ist das sogenannte Überlagerungsprinzip. Danach kann sich ein und dasselbe Elektron gleichzeitig an mehreren Orten befinden - eine in der klassischen Physik paradoxe Vorstellung. Wenn der Aufenthaltsort eines solchen Elektrons gemessen wird, zerstört die Wechselwirkung mit dem Messgerät die Überlagerung der beiden Zustände, und das Elektron muss sich für einen bestimmten Ort entscheiden. Dass heisst, der Kontakt des Elektrons mit der makroskopischen Welt des Messgeräts zerstört das quantenmechanische Verhalten. Dieser Vorgang, die sogenannte Dekohärenz, ist die eigentliche Ursache, warum sich makroskopische Systeme nach den Gesetzen der klassischen Physik verhalten, stehen sie doch permanent in Wechselwirkung mit der Umwelt.

Keine Supraleitung ohne Quantentheorie

Zu den wenigen Beispielen quantenmechanischen Verhaltens in makroskopischen Systemen gehört die Supraleitung von elektrischem Strom. Der Niederländer Heike Kammerlingh Onnes beobachtete 1911, dass Quecksilber bei tiefen Temperaturen seinen elektrischen Widerstand verliert, elektrischen Strom also verlustfrei leitet. Mit der klassischen Physik war dieses überraschende Verhalten nicht zu erklären. Erst 46 Jahre später gelang es John Bardeen, Leon Cooper und Robert Schrieffer, die Supraleitung quantenmechanisch zu begründen.

Nach den Regeln der klassischen Elektrostatik stossen sich Elektronen gegenseitig ab. Laut der nach den drei amerikanischen Physikern benannten BCS-Theorie jedoch können sie sich auf Grund von Wechselwirkungen mit dem Supraleiterkristall gegenseitig auch anziehen. Wenn dies geschieht, bilden jeweils zwei Elektronen ein sogenanntes Cooper-Paar, das sich im Supraleiter ungehindert bewegen kann. Dadurch verschwindet der elektrische Widerstand.

Weil bei der Supraleitung keine Reibungswärme entsteht, können mit supraleitenden Spulen sehr hohe Magnetfelder erzeugt werden. Zumeist verwendet man hierzu Niob-Titan-Drähte, mit denen Magnetfelder erzeugt werden können, die hunderttausendfach grösser sind als das Erdmagnetfeld. Solche Spulen findet man heute nicht nur in den Beschleunigern der Elementarteilchenphysiker, sondern auch in Kernspintomographen, mit denen dreidimensionale Bilder von Gehirn, Herz und anderen Organen mit millimetergenauer Auflösung gemacht werden können.

Noch grössere wirtschaftliche Bedeutung könnte die Supraleitung bei der Übertragung und Speicherung von elektrischem Strom erhalten. Allerdings stehen diesen Anwendungen bisher sowohl technische als auch ökonomische Probleme entgegen. Da bei konventionellen Kabeln die Energieverluste durch den elektrischen Widerstand kleiner als zehn Prozent sind, dürfen die Herstellung und die aufwendige Kühlung von supraleitenden Kabeln nicht zu teuer kommen. Sonst rechnet sich die Umrüstung von konventionellen auf supraleitende Kabel nicht.

Auch der Laser ist ein Produkt der Quantenmechanik. Über einen Mangel an Anwendungen können sich seine Hersteller nicht beklagen. In fast jedem Haushalt findet man heute einen CD-Spieler, der die Musik mit Hilfe eines kleinen Halbleiterlasers von der Platte liest. Anfang der sechziger Jahre, als der erste Rubinlaser vorgestellt wurde, war dieser Erfolg noch nicht vorauszusehen. «Eine Lösung für ein Problem, das erst noch gefunden werden muss», lautete damals das Urteil vieler Physiker. Doch mittlerweile werden Laser in grossem Stil auch in der Industrie eingesetzt. Ob es sich ums Schneiden, Schweissen oder um das genaue Vermessen von Werkstücken handelt, überall nutzt man die hohe Leistung und Präzision des Laserlichts. Auch in der Medizin und hier vor allem in der Augenheilkunde will heute niemand mehr auf die besonders schonenden Laser-Operationen verzichten.

Kaum ein anderes Produkt der Grundlagenforschung hat ein derart breites Anwendungs- und Leistungsspektrum erlangt wie der Laser: Das Spektrum reicht von winzigen Halbleiterlasern, die noch nicht einmal unter dem Mikroskop sichtbar gemacht werden können, bis zum Hochleistungslaser des amerikanischen Lawrence Livermore National Laboratory, der kurze Lichtpulse mit immenser Leistung erzeugen kann.

Das Grundprinzip des Lasers ist einfach: Wenn angeregte Atome in ihren Grundzustand übergehen, emittieren sie Photonen, deren Energie genau dem Energieunterschied zwischen Grundzustand und angeregtem Zustand entspricht. Damit ist die Wellenlänge des emittierten Lichts und somit auch seine Farbe genau festgelegt.

Die Farbreinheit alleine erklärt allerdings noch nicht, warum sich Laserlicht besser bündeln lässt als das Licht einer Glühbirne. Dies ist nur möglich, weil die angeregten Atome nicht zufällig und unabhängig voneinander in den Grundzustand übergehen, sondern vom Strahlungsfeld im Innern des Lasers zu einem kollektiven Verhalten gezwungen werden - ein weiterer quantenmechanischer Effekt. Die Emission der Photonen erfolgt daher zeitlich aufeinander abgestimmt in eine genau definierte Richtung. Das erklärt, warum selbst mit batteriebetriebenen Laser-Pointern gefährlich hohe Lichtintensitäten erreicht werden können.

Kontrolle von individuellen Teilchen

Supraleiter und Laser sind makroskopische quantenmechanische Systeme, deren Eigenschaften auf dem kollektiven Verhalten vieler Teilchen beruhen. In einem zukünftigen Quantencomputer dagegen müssten die Zustände von individuellen Teilchen kontrolliert werden. Statt mit den klassischen Bits «0» oder «1» würde dieser Computer mit quantenmechanischen Überlagerungszuständen aus «0» und «1» rechnen. Wenn der Quantencomputer mehr als nur ein solches Qubit verarbeiten kann, steigt seine Rechenleistung rapide an. Schon die parallele Verarbeitung von hundert bis tausend Qubits würde ausreichen, um die Rechenleistung heutiger Computer zu erreichen.

Die korrekte Funktion des Quantencomputers setzt allerdings voraus, dass die quantenmechanischen Überlagerungszustände aus «0» und «1» nicht durch Wechselwirkungen mit der Umgebung zerstört werden. Diese Bedingung stellt heute noch die grösste Hürde beim Bau eines leistungsfähigen Quantencomputers dar. Die Quantencomputer, die zurzeit in den Labors gebaut werden, können denn auch nur wenige Qubits parallel verarbeiten. Mit der Rechenleistung klassischer Computer lassen sich diese Rechner daher noch nicht vergleichen.

Andreas Hirstein

Der Autor hat Physik studiert und arbeitet als freier Wissenschaftsjournalist in Zürich.

 

 


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