Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)
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NZZ 13. Dezember 2000
Informatik mit einzelnen Quanten
Neue Wege des Rechnens und der Datenübertragung
Seitdem es möglich geworden ist, mit einzelnen Quanten zu experimentieren, haben sich neue Möglichkeiten aufgezeigt, Informationen zu verarbeiten und zu übertragen. Das neu entstandene Arbeitsgebiet der Quanteninformatik möchte die Grundlagen für die Informationstechnologie von morgen schaffen.
Von Anton Zeilinger*
«Die Schwäche der Theorie liegt . . . darin, dass sie Zeit und Richtung des Elementarprozesses dem Zufall überlässt.» Mit diesen Worten kritisiert Albert Einstein im Jahre 1917 seine eigene Theorie der Lichtemission durch Atome. Womit sich Einstein nicht anfreunden konnte, ist die Rolle des Zufalls in der Quantentheorie. Denn anders als in der klassischen Physik ist der Zufall in der Quantenphysik nicht durch genauere Beobachtungen reduzierbar. Es ist unmöglich, für das einzelne Ereignis - etwa die spontane Emission eines Lichtquants durch ein Atom - eine wenn vielleicht auch für uns versteckte Ursache zu finden. Wir haben es also mit reinem Zufall zu tun. Es ist schon sehr bemerkenswert, dass das uralte Suchen des Menschen in der Natur nach tieferen Ursachen und Erklärungen im 20. Jahrhundert in Form des quantenmechanischen Einzelereignisses ein grundsätzliches Ende gefunden hat.
Experimentieren mit einzelnen Quanten
Fundamentale Fragen dieser Art haben immer schon eine Faszination ausgeübt und zu vielen Diskussionen geführt. Dabei hatte man ursprünglich anhand von Gedankenexperimenten argumentiert. Durch grosse Fortschritte der Technologie, gerade auch durch die Erfindung des Lasers, ist es jedoch in den letzten Jahren möglich geworden, immer mehr und immer detailliertere Experimente mit einzelnen Quanten - vom Photon über Elektronen und Neutronen bis hin zu Atomen und Molekülen - durchzuführen. Aus diesen Experimenten und den begleitenden theoretischen Untersuchungen entstand ein neues Arbeitsgebiet, die Quanteninformatik. Hier geht es darum, zu untersuchen, welche prinzipiell neuen Möglichkeiten der Informationsverarbeitung und Informationsübertragung sich ergeben, wenn man Information in einzelnen Quantenteilchen codiert und die Übertragung bzw. die Verarbeitung dieser Information nach Quantengesetzen abläuft. Betrachten wir etwa den elementaren Träger der Information, das Bit. In unseren modernen Computern ist bekanntlich alles - ob Programme, Texte, Zahlen oder Bilder - in Form von Bits dargestellt. Ein klassisches Bit, wie es in einem Computer verwendet wird, kann die Werte «0» oder «1» annehmen, wobei das Bit immer durch ein einfaches physikalisches System repräsentiert wird. Zum Beispiel war das bei alten Computern die Stellung eines Schalters. Wenn der Schalter geschlossen ist, bedeutet das etwa «1», wenn er offen ist, bedeutet das «0».
Wird das Bit jedoch durch ein Quantensystem repräsentiert, etwa durch ein einzelnes Atom, so kommen völlig neue Gesetze ins Spiel. Denn Quantensysteme können auch in einer Überlagerung verschiedener Zustände existieren. Für das Quantenbit heisst das, dass es sowohl den Wert «0» als auch den Wert «1» trägt. Bei Messung wird das Quantenbit einen der beiden Werte annehmen: welchen, ist wieder dem reinen Zufall überlassen.
Ein Quantencomputer würde nun mit solchen Quantenbits arbeiten, d. h. er könnte Überlagerungen verschiedener Informationen gleichzeitig bearbeiten. Wollte man mit einem klassischen Computer mehrere verschiedene Informationen verarbeiten, müsste das entweder nacheinander auf einem Rechner geschehen oder parallel nebeneinander auf separaten Rechnern. Bei einem Quantencomputer ginge dies auf einmal, und dieser massive «Quantenparallelismus» wäre gut geeignet, gewisse sehr komplexe Probleme viel schneller zu lösen, als ein klassischer Computer dies könnte - zum Beispiel die Faktorisierung grosser Zahlen, also die Zerlegung grosser Zahlen in ihre Primfaktoren. Die Tatsache, dass diese Zerlegung für einen klassischen Computer bei hinreichend grossen Zahlen de facto unmöglich ist, da er dafür zu lange brauchen würde, ist eine wichtige Basis gegenwärtiger Verschlüsselungssysteme im kommerziellen und industriellen Bereich.
Die bisher realisierten Quantencomputer sind noch viel zu rudimentär, als dass sie «klassische» Verschlüsselungssysteme tatsächlich knacken könnten. Trotzdem halten Forscher jetzt schon nach alternativen Verfahren der Verschlüsselung Ausschau, deren Sicherheit durch Naturgesetze garantiert wird. Auch hier weist die Quantentheorie mit der sogenannten Quantenkryptographie den Weg. Das Gemeinsame aller quantenkryptographischen Verfahren ist die Erzeugung bzw. Übermittlung eines Schlüssels mit Hilfe einzelner Quanten. Dieser Schlüssel kann dann zur Verschlüsselung einer geheim zu haltenden Nachricht herangezogen werden.
Eines der Verfahren der Quantenkryptographie verwendet verschränkte Photonen. Verschränkung war von Erwin Schrödinger als das wesentliche Charakteristikum der Quantenphysik bezeichnet worden. Er beschrieb damit die Korrelationen zwischen Messungen, die an getrennten Quantensystemen vorgenommen werden. In gewissen Fällen sind diese Korrelationen stärker als alle Korrelationen, die von der klassischen Physik erlaubt sind.
Man kann z. B. Paare von Teilchen erzeugen, die bei Messung immer genau die gleichen Eigenschaften zeigen - analog eineiigen Zwillingen. Die naheliegende Annahme, dass sie dies deshalb tun, weil sie mit gleichen Eigenschaften geboren werden, ist für die Teilchenpaare jedoch falsch, wie der irische Physiker John Bell 1964 gezeigt hat. Vielmehr haben die verschränkten Teilchen von vornherein überhaupt keine Eigenschaften. Bei der Messung nimmt eines rein zufällig eine Eigenschaft an, und das andere wird dann sofort die entsprechende Eigenschaft besitzen - ganz egal, wie weit es entfernt ist. Dies hat Einstein als «spukhafte Fernwirkung» bezeichnet, die er nicht akzeptieren wollte.
Garantiert sichere Verschlüsselung
In der Quantenkryptographie nimmt man genau solche verschränkten Photonenpaare und erzeugt damit an zwei verschiedenen Orten dieselbe Folge von Zufallszahlen. Dieser Schlüssel kann dann zur Verschlüsselung verwendet werden. Ein möglicher Lauscher würde sofort entdeckt, da er Korrelationen stört, was zu verschiedenen Zufallsfolgen auf beiden Seiten führt. Dies kann durch einen öffentlichen Vergleich von einem Teil der Bits des Schlüssels festgestellt werden. Sind die Schlüssel korrumpiert, werden sie einfach nicht verwendet.
Die wohl exotischste Anwendung von Konzepten der Quanteninformation ist die Teleportation. Hier gelingt es, wieder durch Verwendung von Verschränkung, die gesamte Information, die ein Teilchen trägt, auf ein anderes Teilchen zu übertragen. Dadurch wird das neue Teilchen ein vollständiges Abbild des ursprünglichen, und das Original verliert seine individuellen Eigenschaften. Versucht man zu verstehen, wie die Information im Detail übertragen wird, gerät man in grosse Schwierigkeiten, da die übertragene Information keinen konkreten Weg nimmt. Diese Probleme vermeidet man, wenn man sich auf die Position zurückzieht, dass das, was in der Quantenphysik beschrieben wird, eigentlich Information ist - verstanden als Aussage über mögliche Messergebnisse.
Während es heute schwer abzuschätzen ist, welche dieser Methoden der Quanteninformatik je zum technischen Einsatz kommen wird, haben die Experimente mit einzelnen Quanten die Debatte um die Interpretation der Quantenphysik neu eröffnet. Alleine die Tatsache, dass diese Debatte heute - 100 Jahre nach Einführung des Quantenkonzepts durch Max Planck und immerhin 75 Jahre nach der Entwicklung der modernen Quantentheorie durch Werner Heisenberg und Erwin Schrödinger - noch immer nicht abgeschlossen ist, deutet wohl darauf hin, dass hier nach wie vor ein Problem vorliegt.
Eine Theorie der Information
Das Problem liegt darin, dass die Bedeutung der Quantenphysik für unser Weltbild bis heute nicht wirklich verstanden wurde. Die Frage ist, wieweit die Quantenphysik eine an sich existierende Wirklichkeit beschreibt bzw. wieweit diese Wirklichkeit von uns, den Beobachtern, abhängt. Meines Erachtens unterstreichen gerade die neuen Experimente, dass die gängige Anschauung nicht haltbar ist, nach der die Welt mit all ihren Eigenschaften, die wir beobachten, unabhängig von der Beobachtung und vor der Beobachtung existiert. Zumindest in den Fällen einer quantenphysikalischen Einzelmessung ist eine solche Position nicht haltbar.
Die natürlichste Interpretation der Quantenphysik ist daher die, sie als die wohl fortgeschrittenste Informationstheorie, die wir haben, anzusehen. Also eine Theorie unseres Wissens über die Welt, ganz im Sinne der Kopenhagener Deutung nach Niels Bohr: «Es ist falsch zu glauben, dass es die Aufgabe der Physik sei, zu untersuchen, wie die Welt beschaffen ist. Die Physik betrifft vielmehr die Frage, was über die Welt gesagt werden kann.» In unserer modernen Sprache ist das, was über die Welt gesagt werden kann, offenbar unsere Information, unser Wissen über den jetzigen Zustand der Welt. Und es ist uns offenbar aus prinzipiellen Gründen nur gestattet, Wahrscheinlichkeitsaussagen über die Zukunft zu machen.
* Der Autor arbeitet am Institut für Experimentalphysik der Universität Wien.
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