Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)

 

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NZZ 13. Dezember 2000

 

«. . . koste es, was es wolle . . .»

Max Planck - ein Revolutionär aus Verzweiflung

Vor hundert Jahren postulierte Max Planck, dass Energie nur in ganz bestimmten Portionen, sogenannten Energiequanten, übertragen werden kann. Mit dieser Quantenhypothese löste Planck die grösste Veränderung in der Physik seit Newton aus. Die dadurch bewirkte wissenschaftliche Revolution erkannte zuerst Einstein. Sie war von Planck weder beabsichtigt gewesen, noch war sie ihm willkommen.

Von Domenico Giulini und Norbert Straumann*

Im hohen Alter von 85 Jahren sagte Planck in einem Vortrag zu seiner epochalen physikalischen Entdeckung: «Durch mehrere Jahre hindurch machte ich immer wieder Versuche, das Wirkungsquantum irgendwie in das System der klassischen Physik einzubauen.» Diese Versuche, die von ihm verursachte Quantenrevolution vielleicht doch noch in das Gebäude der hergebrachten Physik zu integrieren, drücken in bezeichnender Weise die konservative Wesensart aus, die schon dem jungen Planck eigen war.

Als Schüler am Maximiliansgymnasium in München ist Planck weniger durch besondere Virtuosität oder herausragende Begabung aufgefallen; vielmehr waren Fleiss, Pflichtbewusstsein und die ruhige Kraft seiner Persönlichkeit die Tugenden, die seine Lehrer und Mitschüler an ihm besonders schätzten. Genialität und visionäre Gabe sind nicht das Markenzeichen Plancks. Und trotzdem wurde er Urheber einer physikalischen Revolution, die auch heute, nach 100 Jahren, weder für die Grundlagen der Physik noch für die resultierenden technologischen Erneuerungen auch nur annähernd abgeschlossen ist.

Auf verschlungenen Pfaden

Die Geschichte dieser Entdeckung gibt ein hervorragendes Beispiel dafür, wie seltsam und unplanbar die Forschung vor allem in Zeiten des Übergangs voranschreitet. Denn ursprünglich hatte Planck nicht die Absicht, die Grenzen der klassischen Physik zu verlassen. Sein Anliegen war es vielmehr, die Irreversibilität der Naturerscheinungen aus den Gesetzen der Elektrodynamik abzuleiten. Diese Absicht erscheint uns heute sehr merkwürdig, zeichnen doch die Gesetze der Elektrodynamik genauso wenig eine Zeitrichtung aus wie die der Mechanik. Ein Scheitern des Plank'schen Programms war daher unvermeidlich. Trotzdem führte dieses Programm Planck zu der nach ihm bekannten Strahlungsformel, aus der heraus die Quantentheorie entstehen sollte.

Plancks Versuche, die Irreversibilität elektromagnetisch zu verstehen, führten ihn zur Beschäftigung mit der sogenannten Hohlraumstrahlung. Darunter versteht man die elektromagnetische Strahlung, die sich nach hinreichend langer Zeit in einem auf konstanter Temperatur gehaltenen Hohlraum ausbildet. Planck hatte zunächst keineswegs die Absicht, eine neue Formel für die spektrale Energieverteilung (sie gibt an, wie die Energiedichte der Strahlung auf die einzelnen Wellenlängen verteilt ist) der Hohlraumstrahlung zu finden. Tatsächlich war er von der exakten Gültigkeit einer bereits 1896 von Wilhelm Wien aufgestellten Formel (dem Wien'schen Strahlungsgesetz) überzeugt und versuchte, diese Formel aus den Grundprinzipien der klassischen Physik zu begründen. Nachträglich sollte sich das als unmöglich herausstellen.

Plancks Vorgehen bei seinem Versuch, die Formel für die spektrale Energieverteilung der Hohlraumstrahlung abzuleiten, ist geradezu typisch für einen theoretischen Physiker: Er ersetzt gedanklich eine physikalisch komplexe Situation durch eine wesentlich einfachere, die aber hinsichtlich der untersuchten Aspekte völlig gleichwertig ist und den wesentlichen Vorteil besitzt, exakten analytischen Methoden zugänglich zu sein. Im vorliegenden Fall verfällt Planck auf den Gedanken, die mit der Strahlung wechselwirkende Materie der Wände durch einfache elektrische Dipole aller Eigenfrequenzen zu ersetzen. Die Rechtfertigung für diese Ersetzung lieferte eine theoretische Überlegung des Physikers Gustav Kirchhoff: Gemäss dieser ist das mit den Wänden des Hohlraums im Gleichgewicht stehende Strahlungsfeld unabhängig von der materiellen Beschaffenheit der Wände.

Mit diesem Kunstgriff gelingt es Planck, die spektrale Energieverteilung der Hohlraumstrahlung auf die mittlere Energie der schwingenden Dipole zurückzuführen. Letztere hätte er aber sofort angeben können, wenn er zu diesem Zeitpunkt (im Juli 1899) bereits die statistische Mechanik gekannt bzw. akzeptiert hätte. Er wäre dann allerdings nicht zum Wien'schen Gesetz gelangt, sondern zur (damals noch unbekannten) Rayleigh-Jeans-Formel, die erst im Juni 1900 von Lord Rayleigh aufgestellt wurde. Das hätte ihn stutzig machen müssen. Denn wie Einstein später zeigen sollte, ist diese im Grenzfall grosser Temperaturen bzw. grosser Wellenlängen gültige Formel eine unausweichliche Folge der klassischen Physik. Folglich hätte Planck schliessen können, dass die klassische Physik nicht zum erwünschten Wien'schen Gesetz führen kann. Doch so weit war Planck damals noch nicht.

Im Herbst 1900 wurde Planck jedoch zum Umdenken gezwungen. Unerwartet wurden bei Präzisionsmessungen im langwelligen Spektralbereich an der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt in Berlin systematische Abweichungen vom Wien'schen Gesetz festgestellt. Diese bestätigten die in diesem Spektralbereich approximativ gültige Rayleigh-Jeans-Formel. Damit wird eine bemerkenswerte Pointe dieser Geschichte deutlich, nämlich dass die Quantentheorie aus klassischen Abweichungen von einem erst quantentheoretisch verständlichen Grenzgesetz entstand.

Es ist hinreichend belegt, dass einer der Experimentatoren, Heinrich Rubens, mit seiner Frau die Plancks am 7. Oktober 1900 - einem Sonntag - besuchte und bei dieser Gelegenheit auch die neuesten Messergebnisse erwähnte, die im langwelligen Spektralbereich die Rayleigh-Jeans'sche und nicht die Wien'sche Formel zu bestätigen schienen. Da Letztere sich in den übrigen Spektralbereichen ja schon bestens bewährt hatte, war es naheliegend, zunächst zu versuchen, eine «Interpolationsformel» aufzufinden, die beide Gesetze in ihren jeweiligen Gültigkeitsbereichen approximiert.

Planck machte sich bereits am Abend dieses 7. Oktober an die Arbeit und stellte eine Formel auf, die er dann in der nächsten Sitzung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft am 19. Oktober vortrug und zur weiteren experimentellen Prüfung empfahl. Die Übereinstimmungen waren sehr gut.

Es ergab sich sogar eine völlig neue Möglichkeit, mit Hilfe des Strahlungsgesetzes und der neuen Präzisionsmessungen die Avogadro-Zahl (Anzahl der Moleküle in einem Mol) und die elektrische Elementarladung (Ladung des Elektrons) mit bisher ungekannter Genauigkeit zu bestimmen. Wieder ist es eine erstaunliche Pointe, dass dies ausgerechnet durch den bis dahin erklärten Anti-Atomisten Planck möglich wurde. Die Lösung des eigentlichen Problems, eine einwandfreie theoretische Begründung seiner neuen Strahlungsformel aus ersten Prinzipien vorzulegen, gelang Planck trotz intensiven Bemühungen zunächst nicht. Noch nicht einmal die Tatsache, dass er seinen Widerstand gegen die statistische Mechanik aufgab, brachte ihn ans Ziel. Erst als er in einem «Akt der Verzweiflung» (Planck 1931) annahm, dass der Energieaustausch zwischen den elektrischen Dipolen und dem Strahlungsfeld nur in diskreten Portionen vonstatten geht, konnte er seine Strahlungsformel ableiten. Dazu musste er das Energiequantum proportional zur Eigenfrequenz der betrachteten Dipole setzen. Dies schrieb er in der Formel ΔE = hƒ nieder, in der zum ersten Male die Planck'sche Konstante h erschien, die seitdem weite Teile unserer Physik beherrscht.

Seine Ableitung teilte Planck in der Sitzung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft am 14. Dezember 1900 mit. Dieses Datum gilt heute allgemein als Geburtstag der Quantentheorie, obwohl zunächst ganz unklar blieb, wie der von Planck ad hoc ersonnene Trick der Energiequantisierung zu verstehen war. Planck selbst kommentierte rückschauend (1931): «Das war eine rein formale Annahme, und ich dachte mir nicht viel dabei, sondern eben nur das, dass ich unter allen Umständen, koste es, was es wolle, ein positives Resultat herbeiführen musste.» Später versuchte Planck mehrfach, seine «Quantenhypothese» abzumildern, um sie doch noch in das System der klassischen Physik einbauen zu können. Doch Planck sollte die Geister, die er einst rief, nicht mehr loswerden.

Einsteins Bruch mit der klassischen Physik

Einstein gehörte zu den ersten und härtesten Kritikern der Planck'schen Ideen. Dabei richtete sich seine Kritik nicht gegen die durch Präzisionsexperimente sehr gut bestätigte Strahlungsformel, sondern gegen Plancks Begründung derselben. Wiederholt betonte er, dass die Planck'schen Grundannahmen widersprüchlich seien und die klassische Mechanik und Elektrodynamik, konsequent angewendet, notwendig zur Rayleigh-Jeans-Formel und nicht zum Planck'schen Strahlungsgesetz führt. Einstein argumentierte, dass die Planck'sche Quantisierungsvorschrift nicht als Folge der Wechselwirkung zwischen Dipolen und Strahlungsfeld verstanden werden kann, sondern dass diese selbst nur diskrete Energien annehmen können. «Sosehr sich jeder Physiker darüber freuen muss, dass sich Herr Planck in so glücklicher Weise über diese Forderung hinwegsetzte», schrieb er noch im Mai 1909, «so wenig wäre es angebracht zu vergessen, dass die Planck'sche Strahlungsformel mit der theoretischen Grundlage, von welcher Herr Planck ausgegangen ist, unvereinbar ist.»

Von den beiden in der Planck'schen Strahlungsformel enthaltenen Grenzgesetzen basiert die klassische Rayleigh-Jeans-Formel auf der Wellentheorie des Lichtes. In seiner Nobelpreisarbeit des Jahres 1905 zeigte Einstein, dass der andere Grenzfall - die Wien'sche Strahlungsformel - nur mit einer Art Teilchentheorie des Lichtes verträglich ist, was dann in seiner bekannten «Lichtquantenhypothese» mündete. Im Planck'schen Strahlungsgesetz sind somit sowohl Wellen- als auch Teilchenaspekte des Lichtes vereinigt, und nur die Gemeinsamkeit beider Bilder vermag die physikalischen Konsequenzen der Strahlungstheorie anschaulich zu erfassen. Diesen Umstand nennt man seither Welle-Teilchen-Dualismus.

Die Lichtquantenhypothese wurde von fast allen zeitgenössischen Physikern scharf abgelehnt, insbesondere von Planck, obwohl sie viele der bis dahin unverstandenen Phänomene, wie den photoelektrischen Effekt und photochemische Reaktionen, verblüffend einfach deuten konnte. Wesentlicher Grund der Ablehnung war ihr krass widersprüchliches Verhältnis zur längst verinnerlichten Wellentheorie des Lichtes und überhaupt zur ganzen Maxwell'schen Theorie der Elektrodynamik. Hartnäckig zeigte Einstein in seinen Arbeiten aus den Jahren 1905 bis 1917 aber ein ums andere Mal die Unvermeidbarkeit der Lichtquantenhypothese und damit die Unvereinbarkeit der Planck'schen Strahlungstheorie mit den Grundlagen der klassischen Physik.

Das Bohr'sche Atommodell

Während Einstein die Quantennatur des Lichts durch ebenso feinfühlige wie scharfe Analysen der Strahlungsgesetze blosslegte, blieb die Quantennatur der Materie zunächst ganz unklar. Einen ersten durchschlagenden Fortschritt brachten hier die Arbeiten des dänischen Physikers Niels Bohr, der 1913 sein Atommodell aufstellte, in dem ein positiv geladener Atomkern von negativ geladenen Elektronen auf Kreisbahnen umlaufen werden sollte.

Aber auch die genial imaginierte Bohr'sche Theorie erkaufte ihre scheinbare Anschaulichkeit mit inneren Widersprüchen. Denn die Annahme solcher stationären Bahnen, auf denen die Elektronen - obwohl beschleunigt - angeblich strahlungslos umlaufen sollten, steht im krassen Gegensatz zu den Gesetzen der Maxwell'schen Elektrodynamik. Wohl wegen der grossen Anfangserfolge und der dadurch geschürten hohen Erwartungen nahmen die Physiker gegenüber diesen Widersprüchen zunächst eine äusserst nachsichtige Haltung ein. Bohr selbst betrachtete sein Modell eher als quasi-klassische Metapher für eine letztlich nur mit neuen Begriffen und mathematischen Methoden zu beschreibende Wirklichkeit. So dauerte es noch über zehn weitere Jahre, bis 1925-28 die Quantenmechanik und die Quantenelektrodynamik durch Heisenberg, Schrödinger, Dirac, Pauli u. a. formuliert wurden.

Die in diesen Theorien benutzten Begriffe erfahren gegenüber den durch anschauliche Vorstellungen geprägten Begriffen der klassischen Physik eine grundlegende Bedeutungsänderung. So kommt es immer wieder zu erheblichen Missverständnissen bei Versuchen, quantenphysikalische Phänomene in Worten der klassischen Physik zu interpretieren. Die Notwendigkeit zur Reflexion über die Anwendbarkeit traditionell verwendeter Begriffe und die damit verbundene Forderung, diese gegebenenfalls durch neue ersetzen zu können, ist sicherlich eine der wichtigsten allgemeinen Lehren aus der Geschichte der Quantentheorie, die weit über den Rahmen der physikalischen Wissenschaft hinausweist.

* Die Autoren arbeiten am Institut für Theoretische Physik der Universität Zürich.

 

 


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