Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)

 

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Quelle:

Neue Zürcher Zeitung Ressort Tourismus, 9. August 2001, Nr.182, Seite 47

 

Spaziergang in Rom

Im Parco dell'Appia Antica

Ist man längere Zeit in Rom, kann es bald einmal passieren, dass man genug hat! Genug vom Verkehr, Lärm und Gestank und nicht zuletzt genug von den Touristenscharen, zu denen man ja leider auch gehört. Die ewig hupenden Autos und die rasenden Motorräder in den engen Häuserschluchten machen einem das Leben schwer. Natürlich gibt es die grossen Gärten der berühmten Stadtvillen, beispielsweise die Villa Borghese, wo man sich erholen könnte. Aber man fühlt sich dort wie auf einer sturmumtosten Insel, rundherum brandet ungerührt und unüberhörbar das Chaos, und Touristen hat es hier natürlich jede Menge. Wohin also?

Verbinden wir doch das Angenehme mit ein bisschen Kultur und verbringen einen Tag im Parco dell'Appia Antica. «Nicht doch!», wehren diejenigen ab, die die Appia Antica vielleicht vor ein paar Jahren besucht haben - oder es zumindest versuchten. Dort sei ja alles noch schlimmer! Das war einmal. Dieses Naherholungsgebiet vor den Toren Roms war lange Zeit ein politischer Zankapfel. Für das Giubileo 2000 wurden gewaltige Anstrengungen unternommen, und Milliarden von Lire flossen in dieses heute landschaftlich und archäologisch attraktive Gelände. Für die Umgestaltung musste als Erstes der Verkehr umgeleitet werden; das heisst, die Via Appia Antica ist heute verkehrsfrei. Das völlig verwahrloste Gelände musste entrümpelt, neue Grünflächen mussten bepflanzt und neue Wege angelegt werden. Auch die Via Appia Antica selber wurde instand gestellt und zum Teil neu gepflastert. Gleichzeitig unterzog man einige der antiken Monumente einer Verschönerungskur oder grub sie überhaupt erstmals ganz aus, so beispielsweise die weit ausserhalb gelegene Villa Quintili.

Noch ist das Projekt, das schliesslich eine Länge von 16 Kilometern und eine Fläche von gegen 3500 Hektaren umfassen soll, nicht abgeschlossen. Es ist bis heute noch nicht gelungen, die Parkteile durch ein zusammenhängendes Wegnetz zu verbinden. Wir beschränken unseren Spaziergang deshalb auf den Rom am nächsten gelegenen Teil: den Parco della Caffarella. Die Valle Caffarella, jahrelang eine einzige Schutthalde, ist ein Tal, das sich von Süden her fast bis vor die Tore der Aurelianischen Stadtmauer heranschiebt. Am einfachsten ist es, den Park von der Ostseite her zu betreten. Dazu besteigt man in Rom die Metro Linea A und fährt bis zur Station Colli Albani. Von dort führt die Via Menghini in wenigen Minuten direkt an den Parkrand. Endlich können wir aufatmen: Vor uns breitet sich eine sanft gewellte Landschaft aus. Rom liegt im Rücken, und je weiter wir talabwärts spazieren, desto mehr verebbt der Lärm hinter uns. Noch ist der Park belebt: Kinder spielen, Hunde werden spazieren geführt, Alte sitzen plaudernd in der Sonne, und eine Gruppe römischer Bambini im Vorschulalter bestaunt mit grossen Augen ein Pferd. Bald gehen wir alleine.

Kühe, Schafe und Ziegen

Auf gepflegten Schotterwegen wandern wir südwärts. Die Vögel zwitschern um die Wette: 78 Arten sind im Park schon gesichtet worden. Schlangen soll es hier auch geben; wir sehen nur Eidechsen. Nach einer Wegbiegung ragt vor uns ein verwahrlostes Bauerngehöft aus dem 16. Jahrhundert auf, der Casale della Vaccareccia, das in seiner Trutzigkeit eher an eine Wehrburg erinnert. Aber der Hof ist in Betrieb; eine Holztafel preist frische Ricotta an. Tatsächlich sehen wir auch Kühe grasen, und langhaarige weisse Ziegen mit riesigen Hörnern äugen neugierig aus dem hohen Gestrüpp. Im Talgrund passieren wir den Almone, ein trübes, stinkendes Rinnsal - wir sind eben doch nicht im Paradies.

Bald kommt das Ninfeo di Egeria in Sicht. Es ist eines der restaurierten Monumente. Das Nymphäum ist in den Hang hineingebaut und besteht aus einer künstlichen Grotte mit vorgelagertem Wasserbecken. Hier, bei dieser heiligen Quelle, sollen sich in mythischen Zeiten die Nymphe Egeria und der altrömische König Numa Pompilius verlustiert haben. An gleicher Stelle hat sich dann 160 n. Chr. Herodes Atticus zu seiner etwas oberhalb gelegenen Villa ein schattig-kühles Nymphäum erbaut. - Der Weg führt geradeaus entlang dem Almone südwärts, und schon bald spazieren wir an der Torre Valca vorbei, einem mittelalterlichen Bauwerk, das einmal als Wassermühle, einmal als Wachturm interpretiert wird; vielleicht war es auch beides. Gleich darauf stehen wird vor einem der vielen römischen Grabmonumente, dem Colombario Constantiniano. Das ebenfalls restaurierte Gebäude sieht zwar aus wie ein kleiner Wassertempel, ist aber eine mit vielen Nischen ausgestattete Grabanlage, wo sich vermögende, aber nicht reiche Römer einen Platz für ihre Aschenurne kaufen konnten.

Wir verlassen nun den Weg und wenden uns auf einem Fusspfad in einem weiten Bogen westwärts. Auf der umrundeten, mit einer antiken Zisterne geschmückten Hügelkuppe weiden Schafe. Fern im Hintergrund zeichnet sich die Häuserfront Roms ab. Verkehrslärm schwillt wieder an: Wir nähern uns einer stark befahrenen Strassenkreuzung. Jenseits dieser Kreuzung ist die Via dell'Almone. Hinter schattigen Pinienhainen verbergen sich prächtige Villen.

Rechts Rom - links Brindisi

Endlich stehen wir auf der Via Appia Antica: rechts Rom, links Brindisi! Hat man Zeit, lohnt sich ein Abstecher südwärts allemal, schon nur, um dem Gefühl eines römischen Legionärs auf dem Marsch zu irgendwelchen Kriegsschauplätzen, beispielsweise in Syrien, etwas näher zu kommen. Wir aber wenden uns stadtwärts nach rechts, wo zuerst der Komplex des Cecilia-Metella-Grabes und dann der Circo di Massenzio ein unbedingtes Muss sind (beide montags geschlossen). Das runde Grabmonument der C. Metella verblüfft durch sein enormes Volumen. Es ist natürlich nicht bloss die Grabstätte einer Frau, sondern die Machtdemonstration einer vornehmen Römer Familie, die sich hier an der wichtigsten Überlandstrasse ein derart protziges Grab leisten konnte. Anfang 14. Jahrhundert entstand um das Mausoleum eine mittelalterliche Burganlage, das Castrum Caetani. Weiter stadteinwärts folgt die Residenz des Kaisers Maxentius aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. Sie umfasst neben der kaiserlichen Villa und der Familiengruft auch einen ganzen Zirkus für private Spiele und Rennveranstaltungen. Vermutlich wurde sie über den Resten der einstigen Villa des reichen Herodes Atticus erbaut, an dessen Nymphäum wir vorhin vorbeispaziert sind.

Zeit, die Appia Antica zu verlassen, die nun wieder für den Verkehr freigegeben ist. Wir wählen den Weg über die Katakomben von S. Callisto (Mittwoch geschlossen), der parallel zur Appia noch eine Weile zwischen Pinien und Weideland dahingeht. Rom breitet sich vor uns aus; schon bald kommen die hohen Stadtmauern und das mächtige Tor, die Porta San Sebastiano, ins Blickfeld. Beim Kirchlein «Domine Quo Vadis?» schlägt der Verkehr wieder brutal zu, und wir flüchten in den Bus, der uns ins pulsierende Herz Roms zurückfährt.

Geneviève Lüscher

Informationen: www.parco.appia.antica.org

 


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