Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)
Klassische Sprachen |
Quelle:
Neue Zürcher Zeitung Ressort Zürich und Region, 6. Dezember 2001, Nr.284, Seite 50
Ein Tempelchen vor den Toren Turicums?
Reste eines römischen Rundbaus aus Seebecken geborgen
Der sogenannte «Grosse Hafner», eine etwa 400 Meter vor der Zürcher Quaibrücke gelegene Untiefe, ist seit über 100 Jahren als Hort archäologischer Schätze bekannt. Bei Baggerarbeiten kamen zahlreiche Funde aus der Jungsteinzeit und der Bronzezeit zutage; daneben wurden auch Gegenstände aus der Römerzeit geborgen: Die jüngste Entdeckung ist ein seltener römischer Rundbau aus der Zeit Kaiser Hadrians.
cn. Der Seegrund vor Zürich ist für Archäologen eine wahre Wundertüte. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurden bei Baggerarbeiten mehrere Pfahlbaudörfer entdeckt; daneben wurden auch auch immer wieder Funde aus der Römerzeit geborgen. Da der Aushub als Aufschüttmaterial für die Quaianlagen diente, wurden grosse Teile der wertvollen Bodenschichten zerstört: Allein vom Grossen Hafner, einer etwa 400 Meter vor der Quaibrücke gelegenen Untiefe, wurden zwischen 1868 und 1883 insgesamt 18 000 Kubikmeter Material abgeführt.
Erstaunliche Funde
Bevor die durch rege Schifffahrt beschleunigte Erosion auch die letzten Zeitzeugen wegspülen sollte, untersuchte in der Hoffnung auf weitere Funde die vom Kanton beauftragte Tauchequipe der Stadtarchäologie den Seegrund. Bereits bei den ersten Tauchgängen vor zwei Jahren stiessen die Archäologie-Taucher der Stadt Zürich beim Grossen Hafner überraschend auf Keramikscherben, Dachziegel und Münzen aus dem ersten bis dritten Jahrhundert n. Chr. (vgl. NZZ 20. 2. 99). Schon damals äusserte die Stadtarchäologie die Vermutung, die Funde könnten auf ein ehemaliges römisches Heiligtum hinweisen, da die Römer ihre Tempel gerne am Wasser oder auf Inseln errichteten.
Ein Inselheiligtum?
Eine weitere Entdeckung, welche die Vermutung eines Inselheiligtums stützt, machte die Tauchequipe vor knapp einem Jahr: Sie stiess auf dem Seegrund überraschend auf ein halbes Dutzend Eichenpfähle, die zu einem Rundbau von sieben Meter Durchmesser angeordnet waren.
Wie Beat Eberschweiler, Leiter der städtischen Archäologie-Taucher, und Kantonsarchäologin Bettina Hedinger am Montag an einer Medienorientierung ausführten, haben Abklärungen des Stadtzürcher Labors für Dendrochronologie die Vermutungen nun teilweise bestätigt: Nach Messungen der Jahrringbreiten konnte nachgewiesen werden, dass die Eichen im Jahr 122 n. Chr. geschlagen worden waren. Der Rundbau wurde somit während der Regierungszeit Kaiser Hadrians errichtet.
Seltene Rundbauten
Ob es sich bei den gefundenen Pfahlspitzen wirklich um die Überreste eines römischen Tempels vor der Siedlung Turicum handelt, müssen Auswertungen der Kantonsarchäologie zeigen. Kantonsarchäologin Bettina Hedinger, Leiterin des Ressorts «Römische Epoche», gibt sich aber bereits heute ziemlich euphorisch. Für sie deutet nicht nur die hohe Zahl der aus dem See geborgenen Münzen auf eine antike Opferstätte hin; auch die für die Römerzeit aussergewöhnliche Rundform lasse auf eine sakrale Bedeutung des Baus schliessen.
Da die Spuren der Römer in Zürich verhältnismässig schlecht erforscht sind, werden die römischen Zeitzeugen seit einiger Zeit im Rahmen eines Nationalfondsprojekts genauer ausgewertet. Aufschluss verspricht unter anderem ein Vergleich des einzig bisher bekannten römischen Rundbaus in Zürich, eines steinernen Turms an der Storchengasse, mit dem vor den Toren Turicums gefundenen Tempelchen.
Zurück zur Seite "Varia 2001"