Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)

 

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Quelle:

Neue Zürcher Zeitung Ressort Literatur und Kunst, 7. Juli 2001, Nr.155, Seite 79

 

Antiker Bildersturm

Zwei Publikationen zur römischen Antike in der Schweiz

Von Geneviève Lüscher

Das Zerstören von Bildern und Symbolen einer herrschenden Religion, Weltanschauung oder Politik hat sich zu allen Zeiten und überall ereignet. Die Römer bezeichneten den gewaltsamen politischen Akt als «damnatio memoriae». Zwei kürzlich erschienene Werke zur provinzialrömischen Antike hätten zu diesem Thema eigentlich etwas zu sagen gehabt, bei beiden stehen aber die archäologischen Objekte und nicht deren kulturhistorische Aussage im Vordergrund.

Ein Götterthron für Jupiter

Martin Bossert konzentriert sich in seiner Bearbeitung der Skulpturen aus dem Heiligtum von Thun-Allmendingen bei Bern streng auf die steinernen Denkmäler. Lediglich eine kurze Einleitung informiert über Entdeckung, Ausgrabung und Deutung dieser aussergewöhnlichen Fundstelle. Die monographische Bearbeitung einer einzelnen Materialgruppe, herausgelöst aus ihrem Zusammenhang mit den übrigen Funden, beispielsweise den Bronzefiguren, scheint etwas unglücklich, und man ist gespannt, wie sich die Integration in die Gesamtbearbeitung des Thuner Kultplatzes gestalten wird. Der Tempelbezirk von Thun, ein grosser ummauerter Platz, gehört zu den bedeutenderen Anlagen dieser Art in der Schweiz. Innerhalb der polygonalen Umfassungsmauer standen verschiedene kleinere Tempel und Altäre, alle etwa gleich orientiert, nämlich nach Süden, gegen die Alpen hin, mit Blick auf Eiger, Mönch und Jungfrau. Grabungen fanden hier seit 1824 statt, die letzte 1992/93. Heute liegt das Tempelareal unter einem Golfplatz. Nur etwa die Hälfte der 68 untersuchten Steinfragmente stammt von Figuren: Es sind ein überlebensgrosses, neun lebensgrosse und vier kleinere Götterbilder fassbar; Porträts und Tierreliefs kommen dazu. Beim Rest handelt es sich um Architekturteile der Tempel und um Kultmobiliar.

Am aufsehenerregendsten sind die Bruchstücke dreier Throne. Fast fünfzig Fragmente konnte der Autor erstmals einem masswerkartig durchbrochenen Prunksessel für eine lebensgrosse Figur zuweisen. Der mit Voluten und Rosetten verzierte Thron ist aus Kalkstein und scheint nach hölzernen Vorbildern gearbeitet zu sein. Mit guten Argumenten vermutet der Autor, dass hier ein Jupiter Platz genommen hatte. Von ihm fanden sich auch Arm- und Gesichtsteile. Das ganze - einst bemalte - Kultbild wog etwa 600 Kilogramm und hat nördlich der Alpen nur drei Vergleichsstücke: zwei in Frankreich und eines in Ungarn.

Wie in den meisten provinzialrömischen Tempelbezirken belebte auch hier eine bunte Göttervielfalt das Kultwesen. Neben den echt römischen wie Jupiter oder Diana wurden auch fremde Götter verehrt; beispielsweise Attis, eine orientalische Gottheit, oder die vermutlich aus Nordafrika stammende Dea Annona - übrigens die einzige Figur aus Marmor. Sonst besteht die figürliche Steinplastik aus einheimischem Jurakalk (Urgonien blanc) und wurde laut Bossert von vier Bildhauergruppen geschaffen. Die Qualität ihrer Produktion ist erstaunlich hoch und muss den Vergleich mit den Figuren aus den Koloniestädten Aventicum und Augusta Raurica nicht scheuen.

Der Kultplatz von Thun-Allmendingen war vom 1. bis ins 4.  Jahrhundert n.  Chr. in Gebrauch. Im Jahre 392 erklärte der römische Kaiser Theodosius das Christentum zur Staatsreligion. Auf eine Zeit des Polytheismus mit einer intensiv gepflegten Götterdarstellung und Bildverehrung folgte nun die Verehrung eines einzigen Gottes, von dem man sich erst noch kein Bild machen durfte. Die heidnischen Kultanlagen verfielen oder wurden gewaltsam zerstört. Sicher nachgewiesen ist das Christentum in der Region allerdings erst ab dem 7. Jahrhundert.

Augustus in Augusta Raurica

Ebenfalls von zerstückelten römischen Skulpturen - allerdings aus Bronze - handelt Band 30 der Forschungen in Augst. Bettina Janietz hat nach vier Jahren den zweiten Teil der Bearbeitung des Augster «Schrottfundes» vorgelegt. Nach den beiden Pferdeskulpturen hat sie sich nun der rund 500 Fragmente von Gewandstatuen angenommen. Nur 79 Blechteile gelangten letztlich - in einem dreijährigen Projekt - zur Auswertung. Der Aufwand für die Bearbeitung dieser wenigen Stücke scheint beträchtlich, wenn man berücksichtigt, dass einerseits zahlreiche Aspekte der Gusstechnik von Grossbronzen bereits im ersten Band zur Sprache gekommen sind und andererseits schon sehr bald einmal feststand, dass auf Grund der wenigen Bruchstücke an eine materielle Rekonstruktion der Statuen nicht zu denken war.

Die zwei im ersten Band nachgewiesenen Pferde liessen vermuten, dass auch zwei Reiterfiguren vorhanden sein könnten. Sämtliche Fragmente wurden deshalb einer Atomabsorptions-Spektralanalyse unterzogen, um auf Grund der verschiedenen Bronzelegierungen eine Zuordnung an den einen oder anderen der beiden Reiter vornehmen zu können. Es stellte sich - auch mit Hilfe ikonographischer Kriterien - dann aber heraus, dass Fragmente von mindestens vier, wenn nicht sogar fünf Figuren vorhanden waren. Enttäuschend blieb die Analyse der Gusstone, die Aufschluss über den Herstellungsort der Bronzen hätte geben sollen. Bei den Bildwerken handelt es sich um zwei Reiter, eine stehende weibliche Mantelfigur im Schema einer Pudicitia und eine stehende überlebensgrosse männliche Figur im Schema eines Togatus. Fünf verschiedene Köpfe sind nachweisbar.

Der eine, etwas grössere Reiter sitzt auf einem Pferd in Levade, das heisst, das Tier steht auf den Hinterbeinen. Die Figur weist motivische Parallelen zur Statue des Augustus im Athener Nationalmuseum auf, wo allerdings nur der Reiter erhalten ist, das Pferd fehlt. Es wird dort ein stehendes Tier postuliert. Janietz argumentiert hingegen überzeugend, dass auch für den Athener Reiter ein Pferd in Levade angenommen werden muss. Die motivische Übereinstimmung der beiden Reiterstandbilder aus Augst und Athen lässt es für Janietz plausibel erscheinen, dass der Augster Reiter ebenfalls Kaiser Augustus darstellt. Als Gründer der Colonia Augusta Raurica kann er durchaus - um die Mitte des 1. Jahrhunderts - mit einer Statue auf dem Augster Forum geehrt worden sein.

Den technologischen Aussagemöglichkeiten wird breitester Raum gewährt. Allerdings vermögen den überaus detaillierten Untersuchungen zu antiken Modellierverfahren, Gusstechniken, Überarbeitungen und Reparaturen wohl nur Spezialisten zu folgen, denn das Giessen von Grossbronzen war eine hochkomplizierte Angelegenheit. Im vorliegenden Werk hat die Bearbeitung der technologischen Aspekte überhand genommen, so dass die Diskussion kunsthistorischer und kulturgeschichtlicher Fragen zu kurz gekommen ist. Vor allem die im ersten Band angekündigte Einordnung des «Schrottfundes» in die Geschichte der Stadt Augusta Raurica sucht man vergebens. Der «Schrottfund» wird als Depot eines Bronzegiessers interpretiert, was auch einleuchtet. Wie und wann es aber dazu gekommen ist, dass ein Bild des vergöttlichten Augustus vom Sockel gezerrt und zerstückelt werden konnte, würde auch interessieren. Die von Janietz angeführte Zerstörung der Statuen durch ein Erdbeben kann - aber muss nicht - des Rätsels einzige Lösung sein.

 

Martin Bossert: Die Skulpturen des gallorömischen Tempelbezirkes von Thun-Allmendingen. Bern 2000. 126 S. und Abb., Fr. 30.-.
Bettina Janietz: Ein Depot zerschlagener Grossbronzen aus Augusta Raurica. Augst 2001. 256 S., Fr. 42.
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