Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)

 

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Quelle:

Neue Zürcher Zeitung Ressort Feuilleton, 14. März 2001, Nr.61, Seite 65

 

Heidentum und Christentum

Eine Ausstellung über die Spätantike in Rom

Die Ausstellung im Palazzo delle Esposizioni in Rom stellt eine in mancherlei Hinsicht wissenschaftlich und theologisch umstrittene, aber gerade deswegen spannende Phase des Übergangs ins Zentrum. Die Auswahl der Themengliederung setzt ein kritisches, langwieriges Durchdringen der schwierigen Materie voraus.

Die Ausstellung beschränkt sich nicht auf die Spätantike, deren Beginn in der Forschung ohnehin umstritten ist. Sie zeigt die Wurzeln auf, erforscht die Wandlungen der Kunst der Spätantike und deckt die in der Kunst ausgedrückte veränderte Geisteshaltung auf. Dieses Vorgehen ist angesichts der illusorischen und der Realität widersprechenden Epocheneinteilung sinnreich. Es bringt zumindest ein Konzept klar zum Ausdruck, welches historische Vorgänge nie als eindimensionale, sich plötzlich durch gesellschaftliche und kriegerische Ereignisse oder durch die Macht einer Persönlichkeit sich verändernde Entwicklung sieht. Ein Nachteil ist, dass die Abteilungen nicht konsequent diesem Schema folgen.

Erkenntnisgewinn

Für ein besseres Verständnis der Ausstellung unerlässlich ist der hervorragende handbuchartige Katalog. Im ersten Teil setzt er nicht nur einige der ausgestellten Werke ins Bild, sondern auch Architekturrekonstruktionen und solche Kunstwerke, welche für die Römer Ausstellung nicht verfügbar waren, aber zum Verständnis des anspruchsvollen Konzeptes unerlässlich sind. Damit wird die Idee, welche hinter der Ausstellung steht, nämlich die komplexe «Entwicklung» der heidnischen zur spätantiken christlichen Stadt darzustellen, transparent.

Die internationalen Autoren der Artikel gehören zu den Kennern dieser Materie, bringen also forschungsgeschichtlich neue, wertvolle Erkenntnisse. Herausgegeben wurde das Werk von Serena Ensoli und Eugenio La Rocca, den Hauptinitiatoren der Ausstellung. Aus diesem Grunde scheint es für das bessere Verständnis der Schau erforderlich, das Handbuch vor oder zumindest nach der Ausstellung gründlich zu konsultieren. Die Qualität und die Bedeutung des Katalog-Handbuches rechtfertigen es auch, dieses, anders als für Ausstellungsrezensionen üblich, an den Anfang, nicht ans Ende zu setzen.

Die Darbietung gliedert sich in fünf inhaltlich verschiedene Sektionen, die leider nicht immer klar voneinander getrennt sind. «Der öffentliche und der private Raum» betrachtet vorwiegend die Spätantike, wobei auch hier die Vorläufer mit einbezogen werden: So werden die Bronze-Fragmente des Kolossalbildes Konstantins, an dominierender Stelle präsentiert, sinnvoll zusammengebracht mit dem nur in Kleinkunst und Literatur überlieferten Koloss des Nero aus dem 1. Jh. n. Chr. Um die Baukunst der Zeit auch in die Ausstellung einzubeziehen, steht ein grosses Gipsmodell des Konstantinsbogens im ersten Raum. Originale Architekturfragmente von Bauten der Spätzeit, der kolossalen Maxentius-Basilica (4. Jh.) auf dem Forum Romanum sowie Freskenfragmente ergänzen die Gipse. Für die anderen Kolossalbauten der Zeit ist wiederum der Textband aussagekräftig. Die Kolossalstatuen aus Porphyr, für die Spätantike ab tetrarchischer Zeit als Sinnbild gigantischer Demonstration der Macht und der symbolischen Kraft der kaiserlichen Herrschaft gedacht, konnten verständlicherweise nur in wenigen Stücken gezeigt werden, wobei auch hier wieder Vorläufer aus dem 2. Jh. die Kontinuität demonstrieren.

Das private Leben der Zeit wird in der Ausstellung durch kostbare Werke der Kleinkunst - Elfenbeindiptychen, Teile des Silberschatzes vom Esquilin, aus Kaiseraugst und anderen Orten des Reiches, Freskenreste aus Villen der Aristokratie, Statuen von Magistraten und spätantike Bildnisse - dargestellt. Das pagane Element ist gerade in der exquisiten Kleinkunst der Aristokratie besonders häufig anzutreffen, d. h. in der sozialen Schicht, die am längsten an heidnischen Werten festhält. Von besonderem Interesse ist die bedeutende pagane Opus-sectile-Dekoration der sogenannten Junius-Bassus-Basilica: Ausser den Zeichnungen des 16. und 17. Jh. sind die bunten Paneele des Raubes des Hylas und eine Pompa circensis aus dem 4. Jh. n. Chr. zu sehen.

Bedeutungsverschiebungen

Die Sektion «Das Leben in der Stadt» beschäftigt sich im Text vorwiegend mit den multikulturellen und multireligiösen Tendenzen der mittleren bis späten Kaiserzeit, wobei die Ausstellungsobjekte den verschiedenen Religionen - dem Isis-Kult, dem Kult der Magna Mater, des Serapis, des Mithras, des Dolichenus - aber auch den alten römischen Kulten Rechnung tragen. Gerade hier werden vorwiegend Objekte des 2. Jh. als multikulturelle Vorläufer verschiedener Religionen zusammengetragen, aus denen das Christentum nach Zwischenphasen heidnischer Dominanz schliesslich siegreich hervorgeht. Die Selbstdarstellung der Kaiser und Notabeln wird durch Marmorstatuen oder Porträtköpfe sowie durch Münzen und Medaillen besonders hervorgehoben. Hier vermögen vor allem die spätantiken weiblichen Marmorköpfe, alle aus Rom, und das Diptychon der Kaiserin Ariadne aus dem 6. Jh. durch die neue, vergeistigte Ausdruckskraft zu faszinieren.

Ein eigenes Kapitel wird der Ikonographie gewidmet, in der dargelegt wird, dass verwandt bleibenden ikonographischen Motiven, etwa den Tierträgern oder dem Orantengestus (hochgehaltene Hände), in der frühen Kaiserzeit eine völlig andere Bedeutung beigemessen wird als in der christlichen Zeit. Zahlreiche spätantike Sarkophage zeigen das ganze Spektrum an Reliefmotiven christlicher Kunst. Der Vision des Christusbildnisses versucht man mit einigen Philosophenporträts näher zu kommen.

Einen besonderen Platz nimmt die speziell für die Ausstellung neue zusammengesetzte Raumdekoration in Opus-sectile-Technik der Aula bei Porta Marina in Ostia ein, welche 1959 entdeckt wurde: eine der hervorstechendsten und zauberhaftesten Arbeiten der Spätantike überhaupt. Neben Paneelen mit florealen, figürlichen, geometrischen Mustern sind auch Dekorationen grössten Ausmasses - Tierkampfszenen - zusammengesetzt worden. Schon Becatti hatte die Datierung der Aula an das Ende des 4. Jh., nach 394, vorgeschlagen. Die erstmals in dieser beeindruckenden Komplexität des Œuvres zusammengestellte Dekoration würde einen Neubau in Ostia (?) verdienen, der diesen Schmuck so aufnimmt, wie ihn die Wissenschafter und Restauratoren für diese Ausstellung geschaffen haben. Nur so könnte dieses einmalige Kunstwerk der Nachwelt erhalten bleiben. Es wäre zu hoffen, dass dafür die nötigen Summen auch mit Hilfe des Staates oder von Privaten zu beschaffen wären. Ärgerlich, dass gerade dieses Prunkstück nicht durch Informationstexte an der Wand gekennzeichnet wird.

Die Ausstellung bezieht sich, wie der Titel betont, vorwiegend auf Rom. So wundert es ein wenig, wenn der letzte Teil Mumienporträts und koptische Stoffe aus Ägypten zusammenträgt, ist doch Ägypten nicht nach Rom orientiert, sondern weist neben der autochthonen Komponente starke östliche Elemente auf. - Bei aller Achtung vor der grossen Arbeit, welche hinter der Ausstellung steht, kann nicht verschwiegen werden, dass die Beleuchtung extrem schlecht ist. Des Anspruchs der Ausstellung unwürdig sind auch die schlecht geschriebenen Etiketts und die billige Bogenkonstruktion, welche die schönen Marmorporträts umrahmt.

Annalis Leibundgut

Bis 20. April. Katalog «Aurea Roma. Dalla città pagana alla città cristiana», a cura di Serena Ensoli ed Eugenio La Rocca (2000), «L'Erma» di Bretschneider.

 


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