Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)
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Neue Zürcher Zeitung Literatur und Kunst, 6. Oktober 2001, Nr.232, Seite 84
La belle inconnue
Ein kleiner Rundgang durch die griechische Literatur
Von Danae Coulmas
«Alexis Sorbás tanzt nicht mehr»: So hiess das Motto einer griechischen Literaturwoche vor einigen Jahren in Berlin. Den Mann, der, wenn alles zusammenbricht, am Strand Sirtaki tanzt, den Griechen, der seinem von der Blässe des Gedankens angekränkelten Freund zeigt, um was es im Leben wirklich geht, den gibt es nicht mehr. Jedenfalls in der griechischen Literatur nicht; mögen auch Verleger und Lektoren überall in der Welt von den Griechen einen «neuen Kazantzakis» erwarten und fordern. Nikos Kazantzakis ist nach wie vor der einzige international bekannte griechische Schriftsteller.
An die Frankfurter Buchmesse kommen in diesen Tagen eine Reihe bedeutender Autoren aus Athen und Thessaloniki, aus Patras und aus Kreta, unter ihnen Siranna Sateli , eine grosse Erzählerin. Man hat sie den griechischen García Márquez genannt, was sie ungern hört, denn sie ist in der Tat anders, nämlich eine griechische Scheherazade. Vor sieben Jahren begeisterte sie mit ihrem ersten Roman, «Und beim Licht des Wolfes kehren sie wieder», gleichermassen Publikum und Kritik (vgl. NZZ vom 26. 5. 97); realistisch und geheimnisvoll, lustig, traurig und stets feinsinnig griff sie in tiefe Schichten der menschlichen Seele, völlig überraschend in ihrem Stil. In diesen Tagen hat sie ihren zweiten Roman publiziert.
Ohnehin hat die griechische Literatur seit den Zeiten Kazantzakis' einen weiten Weg hinter sich gebracht, bis hin zu Jorgos Chimonas , dem sprachlich und inhaltlich vielleicht modernsten Schriftsteller der letzten Jahrzehnte. Alexis Sorbas steht für ein stereotypes Bild Griechenlands überhaupt. Sateli und andere neue Autoren stehen für eine europäische Literatur von Rang, die noch immer zu entdecken ist. Bekannter geworden sind neben Kazantzakis und Vassilis Vassilikos («Z», auch in der Verfilmung) auf dem Feld der Lyrik Konstantinos Kavafis und Jannis Ritsos sowie die beiden Nobelpreisträger Giorgos Seferis (1963) und Odysseas Elytis (1979).
VERHÄLTNISMÄSSIG JUNG
Die weitgehend unbekannte Gegenwartsliteratur hat vorzügliche Erzähler vorzuweisen. Sie ist im Gegensatz zur deutschen nie für tot erklärt worden, hat sich trotz schwieriger Vergangenheitsbewältigung keinem Negativismus verschrieben und ist verhältnismässig jung. Denn in Griechenland hat es durch die vierhundertjährige osmanische Herrschaft (1453-1821) einen ungemein langen kulturellen Stillstand gegeben. Während in anderen Ländern die Renaissance blühte, brannte Kultur im hellenischen Raum auf kleiner Flamme - als Bewahrung der Sprache, der Religion und des Bewusstseins einer uralten, gloriosen Vergangenheit. Die moderne griechische Prosa entspringt im 19. Jahrhundert dem Bedürfnis nach Historizität. Während historische Romane eine Blüte erleben, bleiben «bürgerliche» Romane dagegen aus. Eine bürgerliche Schicht bildete sich in Griechenland erst spät, sprunghaft und unorganisch heraus. Um 1880, als Zolas «Nana» ins Griechische übersetzt wird, beginnt die ithographia (von ithi, Sitten, Gebräuche), eine beliebte Gattung, den Rahmen der Sittengeschichte oder des Heimatromans zu sprengen und romaneske, psychosoziale Elemente anzunehmen. Das wichtigste Werk ist ein Buch, das noch heute mitreisst, «Die Mörderin» von Alexandros Papadiamantis, geschrieben in der puristischen, antikisierenden Sprache, der katharevoussa (von katharos , rein), wie alles, was in Prosa in jener Zeit geschrieben wird, während die Dichter in der Volkssprache, der dimotiki, dichten, allen voran Dionysios Solomos , der Dichter der «Hymne an die Freiheit» (vgl. NZZ vom 26. 9. 01). Ein derartiger sprachlicher Stilunterschied zwischen Prosa und Lyrik ist einzigartig. Ebenso einzigartig ist aber der Streit um die Sprache selbst, der lange währte und politisch vielfach instrumentalisiert wurde.
Die griechische Literatur zu entdecken, heisst zunächst, Klischees zu beseitigen. Jenes von Sorbas und, was damit zusammenhängt, jenes von Sommer, Meer und Inseln, überhaupt das zeitlos Exotische, das nördliche Gemüter dem Land zuschreiben. Man würde gewahr werden, dass auch in dieser Literatur stürmisches Wetter herrscht und sich historische Dramen abspielen. Auch die Landschaft vermittelt häufig ein anderes, sonst nur in Filmen von Theo Angelopoulos anzutreffendes Ambiente. Das Meer ist nicht nur schöne Kulisse. Im vielleicht interessantesten griechischen Roman dieses Herbstes, in Ioanna Karystianis «Die Frauen von Andros» (vgl. NZZ vom 18. 7. 01), gibt es neben den Protagonisten mit ihren unerhörten Verstrickungen in Liebe und Tod auch eine wundersame junge Frau, Witwe eines Kapitäns, die immerzu Schiffbrüche auf Stoff stickt; sie steigt die vielstufigen Gassen der Insel hinauf und hinab, nicht zufällig die Hand vor dem Gesicht, um das Blau des Meeres nicht zu sehen. Das hartnäckigste Stereotyp aber sind die Säulen. Gleichsam im Abwehrzauber warnt man vor ihnen in Athen und Frankfurt mit allerlei Slogans und situiert somit alles, was Griechenland zu bieten hat, jenseits der klassischen Antike. Die Warnung ist übrigens nicht neu, Griechenland hatte schon in den sechziger Jahren für jeden ernsthaften Gräzophilen säulenlos zu sein. Man fragt sich, wann endlich die Griechen selbst ihre Ängste vor ihrem eigenen, weitgehend durch den Philhellenismus geprägten Bild von der Antike überwinden werden.
DIE ANTIKE LEBT
Die Griechen mögen noch so den Säulen entkommen wollen, die Antike ist - selbst in der Negierung - ein integraler Bestandteil griechischen Bewusstseins. Literarisch wirkt sich dies in einer weiteren Einzigartigkeit aus, und zwar wiederum in der Differenz zwischen Prosa und Lyrik, was den Gebrauch altgriechischer Themen, Motive und Sprechweisen betrifft. Es gibt in Griechenland keine nennenswerten Romane, die «Kassandra» oder «Medea» heissen, und auch keinen «Ulysses». Kazantzakis' «Odyssee», ebenso lang wie das Epos von Homer und mit neuem Ende, ist in Versen verfasst. Ebenso gibt es im Theater keine streng moderne oder postmodern verspielte «Antigone» und keine «Elektra». Man besitzt die Stücke, man liest sie, führt sie auf der Bühne und in den Amphitheatern auf - übrigens in exzellenten neugriechischen Übertragungen und manchmal hervorragenden Inszenierungen. Gewiss gibt es Ausnahmen wie Jannis Ritsos' «Die Rückkehr der Iphigenie», «Agamemnon» und «Chryssotemis», doch dient hier der Stoff gar sehr als Vehikel eines modernen, ideologischen Inhalts.
Anders die Lyrik. Hier lebt die Antike weiter - so wie in der Dichtung auch anderer Länder. Und hier ist der Bezug untrennbar verbunden mit dem Stoff selbst, aus dem Gedichte gemacht werden: der Sprache. Mit ihren Mythen, Bildern und Symbolen bietet sie einen unvergleichlich reichen Sprachfundus, um den etwa Ungaretti seinen griechischen Freund Odysseas Elytis beneidete. Die Antike schafft den Echoraum für das Edle und Tragische, zuweilen auch für ironische Distanz. Sie ist Herkunft und Last zugleich, bei Seferis, bei Elytis, im Spätwerk von Ritsos und bei den vielen jüngeren Dichtern, die sich oft an die heraklitische Sicht einer fragmentarischen Welt halten.
Das hat mit der europäischen Rezeption des Griechentums zumal im Geist des deutschen Idealismus wenig zu tun. Der Philhellenismus wurde im 18. und 19. Jahrhundert zu einer massgeblichen intellektuellen Strömung. Seine Annäherung an Griechenland war grandios und zugleich schief. Wer heute wie einst Goethe «das Land der Griechen mit der Seele» in den Neuerscheinungen der letzten Jahre sucht, der sucht vergeblich. Auch wenn sich Griechenland zur Selbstfindung oder zur romantischen Flucht immer noch eignet (etwa in Botho Strauss' «Fremdenführerin», einem Versuch, das «Et in Arcadia ego» nachklingen zu lassen): Die Griechen sind weit davon entfernt, Sehnsüchte dieser Art zu entfalten, dagegen fühlen sie sich wohl in einem spezifischen Sprachpatriotismus. Er ist identitätsstiftend - so die Landschaft und das vielgerühmte Licht.
Hinzu kommt, dass die Griechen auch eine weitere, näher liegende Herkunft besitzen: die Welt der christlichen Orthodoxie. Auch sie ist präsent vor allem als Sprachtradition, als Sprache der Liturgie, die eine ureigene Sprache ist. In Griechenland bedurfte es keiner vulgata, man lebte stets in und mit der «Nachgiebigkeit des Heiligen», die Vertrautheit zum Metaphysischen und damit eine Zugehörigkeit zum Osten schafft. Für die Literatur ist dies ungemein wichtig: Ältere, aber auch jüngere Dichter referieren auf die byzantinischen Hymniker, deren Symbolik und Rhythmus sie sich aneignen, mögen die eigenen Inhalte noch so religionsfern sein. Odysseas Elytis übernimmt in seinem Hauptwerk «To Axion esti» (Gepriesen sei) in Wort und Struktur den Hymnus von Romanós an Maria. Die tausend Jahre von Byzanz, dem Vielvölkerstaat griechischer Kultur, sind auch ausserhalb des kirchlichen Lebens und der Kunst der Ikonen lebendig. Das Interesse am Byzantinischen Reich ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen - auf dem Gebiet der historischen Forschung, in der Kunst und Literatur. In Griechenland ragt in dieser Hinsicht der historische Roman von Maro Douka , «Die Purpurmütze», von 1995 heraus. Er ist noch unübersetzt, obwohl es gerade für den Westen interessant sein müsste, die Kreuzzüge aus östlicher Sicht reflektiert zu sehen.
NEUE HISTORIZITÄT
Er ist ein kleiner Knabe, als er bei einer Schlacht auf Kreta von den Osmanen geraubt und von seinem Bruder getrennt wird. In Ägypten Kriegsminister und Feldherr geworden, kehrt er in seine Heimat zurück, um einen von seinem Bruder geleiteten Aufstand niederzuschlagen: Ismail Ferik, ein Mann, zerrissen zwischen zwei Religionen und Kulturen. Rhea Galanaki hat diesen eminenten Stoff in einem Roman psychologisch feinfühlig und kunstvoll behandelt.
Ob beim Altmeister Thanasis Valtinos in seiner Dokumentarfiktion «Die Legende des Andreas Kordopatis II, 1911-1922» (eine Art griechisches «Echolot», «Kordopatis I» führte zuvor ins Amerika der griechischen Auswanderer), ob bei Soti Triantafillou in ihrem Roman «Bleistiftfabrik» (ein griechischer Student als Freund Lenins und Rosa Luxemburgs in Berlin), ob bei Nikos Themelis in den Romanen «Die Suche» und «Der Umsturz» (eine Suche nach dem verlorenen Griechenland in den kosmopolitischen Zentren Mittel- und Osteuropas vor 1918): Historisches Erzählen hat Konjunktur. Bemerkenswert ist die Art, wie die Jüngeren mit Geschichte umgehen. Hatte Thanasis Valtinós bereits 1963 mit einem schmalen und lakonischen Werk über den griechischen Bürgerkrieg, «Der Marsch der Neun», eine Zäsur in der von Emotionalität und Parteinahme geprägten Wahrnehmung gesetzt, so schafft es Soti Triantafillou, Tragisches federleicht zu erzählen. Nikos Themelis findet in der Rückschau distanzierte, aber zärtliche Töne.
Ist es die Ästhetisierung der eigenen Vergangenheit angesichts einer global gewordenen Wahrnehmung der Welt, ist es der Geist der Anpassung an den Markt oder die neue Leichtigkeit des Erzählens, welche den Schriftstellern den Ausweg aus der «Zwangspolitisiertheit» (Triantafillou) früherer Generationen weist? Selbst in der jungen Lyrik schlägt sich die Geschichte nieder, etwa bei Thanassis Hatzopoulos, der Gedichte schreibt, die Titel tragen wie «1922», «1941».
Was ist dabei griechisch? Der Singularität eines Landes lässt sich schwer nachspüren, besonders wenn es um das schwierige Geschäft geht, ein Grieche zu sein. Der alte Dichter von Alexandria, Konstantinos Kavafis, pflegte, auf einen Patriotismus der Kultur vertrauend, zu sagen: «Ich bin nicht Grieche, ich bin griechisch.» Anders die literarisch hochbedeutende Generation der dreissiger Jahre: Giorgos Seferis dichtet von einer Welt, in der Mythos, Geschichte und Gegenwart eine Einheit bilden. «Wohin ich auch reise, Griechenland verletzt mich», ist sein am häufigsten zitierter Vers. Odysseas Elytis entäussert sich in der ekstatischen Wahrnehmung geistiger Schönheit, Jannis Ritsos wiederum in einem alles in Menschlichkeit umfassenden Griechentum, das er romiossini nennt.
DIE FREIHEIT DER ERINNERUNG
«Erinnerung ist Freiheit»: Das grosse Wort stammt von Ioanna Karystiani. Die griechische Literatur hat es bei der Betrachtung der Vergangenheit keineswegs immer mit der Leichtigkeit gehalten. Nicht selten ging sie den Weg der Zeitzeugenschaft in grosser Emotionalität und entschiedener Parteinahme. An historischen Einschnitten mangelte es nicht. Die Jahreszahlen, die bei Hatzopoulos zu Menetekeln werden, sprechen für sich. 1922: die sogenannte «kleinasiatische Katastrophe» - die Vertreibung der Griechen aus ihrer seit der Antike angestammten ionischen Heimat durch die Türken. Die «Generation der dreissiger Jahre», Ilias Venesis, Stratis Myrivilis und andere zeugten davon in gewichtigen Romanen. Das Buch der Versöhnung erscheint erst vierzig Jahre später, 1962: «Blutgetränkte Erde» von Dido Sotiriou , der Grand Old Lady der griechischen Literatur. Sogar ins Türkische wurde das Werk übersetzt und in der Türkei viel gelesen.
1941 bis1944: deutsche Besatzung, bewaffneter Widerstand, Repressalien grausamster Art, das Land verblutet beinah. Diese zweite Geschichtskatastrophe des Jahrhunderts durchzieht die Nachkriegsliteratur im Bild wirklicher oder fiktiver Figuren. 1943 bis 1949: der griechische Bürgerkrieg. Entfacht schon während des Widerstands gegen die Deutschen zwischen rechten und linken Kräften, Nationalen und Kommunisten, dauert er bis zum Ende des Jahrzehnts und öffnet einen Riss, der über Generationen hinweg durch die Familien hindurchgeht und die politischen Verhältnisse im Land pervertiert bis hin zur Usurpation der Macht durch die Obristen. Ist die deutsche Besatzung im Bewusstsein der Griechen eine Geissel, so ist der Bürgerkrieg ein Trauma.
In den fünfziger Jahren führten restaurative Regierungen die Verfolgung der Linken weiter. Unter den Bedingungen der Repression war bis auf ein, zwei Ausnahmen eine Thematisierung des Bürgerkrieges unmöglich. Doch die in den sechziger Jahren entstandenen Werke werden gerade ihres politischen Gehalts wegen zu Klassikern. Die Autoren beschäftigen sich mit dem griechischen Bürgerkrieg, allmählich auch mit der Sinnlosigkeit kommunistischer Dogmatik - der Bruch mit dem Stalinismus vollzieht sich langsam und schmerzlich. Die ersten Zeichen setzt eine monumentale Romantrilogie von Stratis Tsirkas , «Unregierbare Städte» (1961-1965), die noch immer nicht auf Deutsch vorliegt. 1966 erscheint Aris Alexandrous «Die Kiste», der seltene Fall einer gelungenen modernen Allegorie. Zwanzig, dreissig, vierzig Jahre nach dem Geschehen häufen sich Novellen und Erzählungen, darunter mehrere von Thanasis Valtinos und von Christophoros Milionis, einem Autor, der das Dasein zwischen den Fronten schildert. Sie alle zeugen nicht mehr von Mythen, sondern von deren heilender Zerstörung.
Diese Prosa, geschrieben von der Generation der damaligen Kinder, weist stark autobiographische Züge auf. Dabei werden Krieg und Bürgerkrieg oft miteinander verwoben. So etwa im vielgelesenen Buch von Kostas Tachtsis , «Dreimal unter der Haube» (1962), der Geschichte einer kleinbürgerlichen Familie, erzählt aus der Perspektive der Frauen, oder in Pavlos Matessis ' «Die Tochter der Hündin» (1996), wo das Geschehen mit dem Scharfsinn einer Naiven kommentiert wird. Mit den entsetzten Augen eines Kindes wird in Jorgos Ioannous Erzählung «Das Bett» die Deportation der griechischen Juden aus Thessaloniki geschildert. Den literarischen Höhepunkt in der Behandlung dieses Dramas stellt wohl Dimitris Hatzis Erzählung «Sampethei Kambilis» dar.
Die engagierte Literatur hat mit Jannis Ritsos einen Dichter vorzuweisen, den Aragon, gewiss nicht nur wegen des gemeinsamen politischen Glaubens, den grössten des Jahrhunderts nannte. Ritsos hat Kampf, Haft und Verbannung am eigenen Leib erfahren: «Mit Steinen, bei Steinigungen benutzt, erbaute ich dieses Denkmal.» Auch Ritsos wendet sich zuletzt vom Stalinismus ab, bleibt aber den kommunistischen Idealen treu. Nicht anders Manolis Anagnostakis («Wie Nägel muss man die Worte einschlagen, damit sie der Wind nicht verweht») und Titos Patrikios , der noch im jüngsten Gedichtband vom «Widerstand der Ereignisse» spricht.
Sie und andere bedeutende Schriftsteller meldeten sich zu Wort, nachdem 1967 die Militärjunta die Macht ergriffen hatte. Gleichzeitig trat etwas Unerwartetes ein: Literatur hörte auf, öffentlich zu sein, Autoren traten in den geistigen Hungerstreik, Intellektuelle aller Couleurs hörten auf zu publizieren. Schliesslich aber hielten sie es mit Bertolt Brecht, der da fragt und antwortet: «In den finsteren Zeiten / Wird da auch gesungen werden? / Ja, da wird gesungen werden/ Von den finsteren Zeiten.» So entstanden die «18 Texte», die «Neuen Texte» und die «Neuen Texte II» (auf Deutsch 1973 veröffentlicht unter dem Titel «Die Exekution des Mythos fand am frühen Morgen statt»), die enorme Auflagen erreichten. All diese Autoren distanzierten sich von «der Antike», und dies war zweifellos eine ungewollt produktive Kehrseite der Diktatur. Mangels einer Ideologie hatten die Machthaber das altgriechische Erbe usurpiert und sich in Verkitschung des Hellenentums überboten. Die Aufführung der «Antigone» des Sophokles war zur gleichen Zeit aus naheliegenden Gründen verboten.
Bereits in den siebziger und achtziger Jahren verfassten bekannte Schriftsteller Werke zu dieser obskurantistischen Geschichtsphase. Menis Koumandarea s schrieb «Der schöne Leutnant», Maro Douka «Antike Schlacke» und Alexandros Kotzias den vielleicht bedeutendsten Roman der griechischen Nachkriegsliteratur, «Amtsanmassung» (1979, noch unübersetzt), dessen Handlung während des Studentenaufstands im November 1973 spielt. Protagonist ist ein Exponent des Regimes, ein halbinvalider kleiner Spitzel, der in seiner Mischung aus Täter und Opfer eine Gestalt von Dostojewski'scher Dämonie abgibt. Giorgos Seferis dichtete einst: «Die Häuser die ich besass haben sie mir genommen. Es war so / dass die Zeit aus den Fugen geriet: Kriege Trümmer Verbannungen: / manchmal findet der Jäger die Zugvögel auf dem Durchflug / manchmal bleiben sie aus: zu meiner Zeit / war die Jagd gut gewesen, viele kamen um in den Feuersbrünsten, /die übrigen streifen umher oder verlieren in den Schlupfwinkeln den Verstand.»
RUECKZUG INS PRIVATE
Nach Wiederherstellung der Demokratie brach in Griechenland eine apolitische, postideologische Ära an. Man zog sich zurück ins Private und fand sich in einer Lyrik wieder, die einen noch freieren Vers als vorher pflegte und - wie bei Jannis Kondos - dem Schrecken der Geschichte mit einer befreienden Ironie begegnete. Das literarische Ereignis der siebziger und achtziger Jahre aber war der Auftritt der Frauen, in der Prosa wie in der Lyrik, und das auf einem Niveau, das jeden Verdacht eines Feministinnenbonus Lügen strafte. So erarbeiteten sich Katherina Angelaki-Rooke und Kiki Dimoula neue existenzielle Sichtweisen auf Liebe und Tod, erschlossen in einer neuen Sprache eine neue, gewiss: weibliche Sinnlichkeit.
Die Moral der Intellektuellen findet mittlerweile keine eindeutigen Ziele mehr. Wo die Diskussion vornehmlich um Nutzen und Nachteil der Globalisierung kreist, steht eines fest: Die Literatur wird national bleiben. Die Frage nach der Identität der griechischen Literatur ist gewiss nicht ohne Relevanz, wenn auch nur durch viel zu allgemeine Begriffe wie Sprachbewusstsein, Tradition, Historizität, Engagement zu beantworten. Sosehr sie es immer wieder thematisierten, so wenig haben sich die Schriftsteller selbst ja über ihr Griechentum einigen können.
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