Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)

 

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Quelle:

Neue Zürcher Zeitung Ressort Tourismus, 26. April 2001, Nr.96, Seite 75

 

Wo die Irrfahrten des Odysseus endeten

Inselhüpfen im Ionischen Meer

Delphine begleiten das Fährschiff fast bis zum kleinen Hafen von Frikes auf Ithaka, als wollten sie den Fremden auf der Insel des Odysseus willkommen heissen. Die erste Taverne, die man vom Schiff aus sieht, heisst «Penelope». Das ist der Name der Frau, die 20 Jahre auf ihren Gatten wartete, obwohl sie im Palast von immer frecher werdenden Freiern bedrängt wurde. «König von Ithaka» nennt Homer in der «Ilias» den Mann, der durch den Trick mit dem hölzernen Pferd nach zehn Jahren den Kampf um Troja entschied, der dann, wie in Homers «Odyssee» beschrieben, auf zehnjähriger Irrfahrt zum Weltenbummler wider Willen wurde und dabei alle seine Männer und Schiffe verlor. Ganz allein kehrte er heim.

Ithaka (oder Ithaki) ist für viele Experten die Heimat des Listenreichen, auch wenn es noch andere Theorien gibt. Troja-Entdecker Heinrich Schliemann schrieb: «Jeder Hügel, jeder Felsen, jede Quelle, jedes Olivenwäldchen mahnt uns an Homer und die Odyssee.» Er fand freilich keine konkreten Hinweise auf den Palast eines mächtigen Königreiches. Aber vieles scheint nach den Beschreibungen des Homer zu passen, der die Insel als niedrig und schmal beschrieb, ungeeignet, «Rosse zu tummeln». Bei einer Wanderung vom Hauptort Vathy in Richtung «Rabenfelsen» am Rande des Marathia-Plateaus, erst durch Olivenhaine, dann den Hang hinauf durch dichte Macchia, ist man bald geneigt, Schliemann zu glauben. Die Arethusa-Quelle könnte wahrhaftig der Ort sein, an dem Eumaios die Schweine seines Königs tränkte. Auch die Nymphengrotte, zu der eine andere Wanderung von Vathy aus führt, entspricht der Beschreibung des Ortes, an dem Odysseus die Geschenke versteckte, die ihm die Phäaken mitgegeben hatten. Bei Stavros stand, da sind sich die Einwohner ganz sicher, sein Palast, und in der heutigen Dexia-Bucht sollen die Phäaken den schlafenden Heimkehrer auf den Strand gelegt haben.

Zu beweisen ist nichts. Aber es ist faszinierend, den Spuren dieser Legende zu folgen und dabei Griechenlands grünste Inseln näher kennen zu lernen. Die Ionischen Inseln sind längst nicht so karg wie die Eilande der Ägäis, sind auch nicht das klassische Griechenland mit den Ruinen antiker Tempel. Sie erinnern mit ihrer Architektur, mit Millionen von Olivenbäumen und Zypressen mehr an Italien, an die Adria. Das ist kein Wunder, denn die Venezianer prägten über vier Jahrhunderte das Bild der Ionischen Inseln, die bis auf Lefkas nie für längere Zeit von den Türken erobert werden konnten.

Wer dem letzten Wegstück der abenteuerlichen Irrfahrten des Odysseus folgen will, fängt am sinnvollsten auf der Insel Korfu an, die schon im Altertum für die Scheria des Phäakenkönigs Alkinoos gehalten wurden. Spielverderber meinen zwar, das Land der Phäaken sei das italienische Kalabrien gewesen, aber gar zu gern glaubt der Reisende, dass Korfus meistphotographiertes Motiv mit dem Helden von Troja zu tun hat: Bei Kanoni blickt man auf die Klosterinsel Vlacherna, dahinter liegt dunkel die Mäuseinsel. Sie soll das Schiff der Phäaken sein, das Odysseus in seine Heimat gebracht hatte. Poseidon, grimmiger Feind des Odysseus, liess es aus Wut, so die Legende, bei der Rückkehr vor der Hafeneinfahrt versteinern. Am Strand von Ermones hatte die Königstochter Nausikaa den an Land gespülten Irrfahrer gefunden und zum Palast gebracht. Heute könnte Odysseus dort bequem mit dem Lift hinauffahren zu den am Hang klebenden Bungalows einer Hotelanlage.

Von Korfu wählt man auf den Spuren des Odysseus am besten den Umweg über das Festland. Dort wartet, knapp 50 Kilometer hinter dem Hafen von Igoumenitsa, eine weitere «Odysseus-Stätte», Nekromanteio Efyras, Griechenlands einziges Totenorakel. - Lefkas, weitgehend noch eine ländliche Idylle, erreicht man ohne Fähre. Die Insel ist durch einen Damm mit dem Festland verbunden und war von den Türken wegen der Nähe zum Festland leicht zu erobern. Im Hafen des Ferienortes Nydri ankert ein «Odysseus-Schiff». Der Skipper behauptet, es sei den Schiffen nachgebaut, die einst nach Troja segelten, nur etwas kürzer. Es fährt die Touristen zu einer Insel, auf der nun wirklich nachweislich ein berühmter Grieche lebte, nach Skorpios, dem streng bewachten Eiland der Familie Onassis.

Von Lefkas sind es nur noch kürzere Inselsprünge. Nie länger als zwei Stunden dauert die Fahrt zur nächsten Insel, zwischen Ithaka und Kefallonia liegt sogar nur eine zwei bis vier Kilometer breite Meerenge. Kefallonia, die grösste und landschaftlich vielfältigste der Ionischen Inseln, war nach Meinung von Experten das Ithaka des Odysseus. Als seine Männer verbotenerweise den Windsack des Aiolos öffneten und ihr Schiff zur Strafe wieder hinaus aufs Meer geblasen wurde, hätten sie schon die Heimat in Sicht gehabt. Ithaka aber wird von der Meerseite durch Kefallonia verdeckt. Ausserdem seien auf Kefallonia mykenische Mauern und die Reste einer Akropolis gefunden worden. Auch sei Odysseus «mit zwölf Schiffen aus Kefallonia» aufgebrochen. Könnte Odysseus heute friedlich durch die Inselwelt segeln, würde er wohl den Hafen von Fiskardo im Norden Kefallonias ansteuern. Der Fischerort blieb vom Erdbeben verschont, hat sich hübsch herausgeputzt und ist Traumziel vieler Segler. Für das viel kleinere Ithaka aber spricht nach Ansicht der Experten, dass es strategisch wichtiger war. Nirgendwo konnte man besser den Seehandel kontrollieren.

Bleibt noch Zakynthos, das mit Lefkas, Kefallonia, Ithaka und Teilen des Festlandes zum Reich des Königs von Ithaka gehört haben soll. Auf dem nach Korfu zweitwichtigsten Ferienziel der Ionischen Inseln hat bisher noch niemand behauptet, es sei das Ithaka Homers. Schade eigentlich, denn an einem der schönsten Strände Griechenlands, nur mit dem Boot zu erreichen, ragen malerisch Teile eines Schiffswracks aus dem Sand. Um es als Odysseus-Schiff zu verkaufen, müsste man freilich noch listenreicher sein als der König von Ithaka.

Klaus Thiele

 

 


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