Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)
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Neue Zürcher Zeitung Ressort Literatur und Kunst, 3. März 2001, Nr.42, Seite 88
Römische Festungsbauten in Jordanien
Der Limes im Nahen Osten
Unter «Limes» verstehen wir gemeinhin einen römischen Grenzwall. Flugaufnahmen von Bodenverfärbungen, die sich als schnurgerade Linien quer durch die Landschaft ziehen, vermitteln eine klare Vorstellung von diesem monumentalen Bauwerk. Ein Blick auf die römischen Festungsarchitekturen in Jordanien verdeutlicht allerdings, dass Limesbauten keine exakten Grenzanlagen waren, sondern Kontrollposten in einer kulturellen Übergangszone. Ihre Aufgabe war nicht die Verhinderung des sozialen und wirtschaftlichen Austausches. Vielmehr stellten sie diesen unter staatliche Aufsicht.
Von Katrin Roth-Rubi
Die Erforschung des römischen Festungsbaus ist in vielen Belangen Abbild einer geistesgeschichtlichen und politischen Entwicklung,deren Beleuchtung wiederum historische Rückschlüsse ermöglicht. Ins Zentrum rückte der Limes auf deutschem Boden mit der Gründung der Reichslimeskommission im Jahr 1892; Theodor Mommsen hatte sie angeregt. Aufgabe diesesGremiums war die Koordination eines gross angelegten Inventarisationswerkes, in dem sämtliche römischen Befestigungsbauten in Mittel- und Süddeutschland erfasst werden sollten. Als Mitarbeiter amteten viele militärisch geschulte Leute,der Kaiser selbst verfolgte und förderte das Projekt. Die Beteiligten an diesem brillant organisierten Unternehmen legten - geprägt durch einen positivistischen Willen, durch nationalistische Vorstellungen, aber auch durch eine tiefe ethische Verpflichtung - den Grundstein für alle weiteren Forschungen im Bereich der Grenzfestungen. In einer 14-bändigen Veröffentlichung aus den Jahren 1894 bis 1937 wurden die Resultate aus derTätigkeit der Kommission vorgelegt: «Der obergermanisch-rätische Limes des Römerreiches», ein Dokument konsequenter Forschertätigkeit, vermag heute noch der Schnelllebigkeit kurz geplanter Erfolgsunternehmen zu widerstehen.
DEUTSCHLAND UND ENGLAND
Anders als in Deutschland verlief die Entwicklung auf den Britischen Inseln, wo der Hadrianswall in England und der Antoninische Wall inSchottland ebenso eindrückliche Zeugnisse römischer Grenzsicherungen darstellen wie der Limes auf dem Festland: Die Erforschung ging in erster Linie von einzelnen Fundstellen aus und beruhte auf der Initiative kleiner Interessengruppen. Auf «Pilgrimages», Wanderungen entlang des Hadrianswalls, erstmals 1848 gestartet, wurden die Grabungsergebnisse der einzelnen Kastelle ausgetauscht und durch herausragende Gelehrte, anfänglich etwa F. J. Haverfield, der mit Mommsen in Kontakt stand, sporadisch gebündelt. Eine national gelenkte Equipe wie im deutschen Kaiserreich hat es in England im früheren 20. Jahrhundert nicht gegeben. Heute wird der Hadrianswall als Bestandteil des Welterbes von einem einzigen «Officer of English Heritage» verwaltet und geschützt, während der obergermanisch-rätische Limes unter der Aufsicht von vier verschiedenen Denkmalämtern der Bundesrepublik steht.
Wenn die führenden Köpfe der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg selbstverständlich über die Landesgrenzen hinweg miteinander korrespondierten, so gab es doch kaum Möglichkeiten für internationale Zusammenarbeit. Mit dem Kriegsausbruch wurden auch die privaten Verbindungenunterbrochen. Die nachfolgenden Krisenjahre erlaubten erst recht nicht, grösser angelegte Forschungen zu betreiben. Mit dem aufkommenden Nationalsozialismus wurde in Deutschland das römische Erbe zur Seite gedrängt; nur mit Mühe konnten vereinzelte Grabungen am Limes durchgeführt werden.
Führende Köpfe der Altertumswissenschaften litten unter der Isolation in einem Arbeitsbereich, wo sich eine grossräumige Verknüpfung geradezu aufdrängte. Auf Initiative des englischen Althistorikers Eric Birley beschloss man im Sommer1939, der Pilgrimage von 1940 einen internationalen Kongress zur Limesforschung, einen Gedanken- und Erfahrungsaustausch über die modernen Grenzen hinweg, anzufügen - 1949 hat er dann tatsächlich in Newcastle stattgefunden! Laut Birleys Sohn kam es seinem Vater in der Zwischenzeit zu, «die deutsche Wehrmacht zu analysieren anstelle der römischen Armee». Seither wurden achtzehn «Limeskongresse» durchgeführt: fünf Tagungen fanden in Grossbritannien statt, drei in Deutschland, je zwei in Österreich und in Rumänien, je eine in Jugoslawien, Ungarn, den Niederlanden und in der Schweiz (1957). Mit dem Besuch von Israel 1967 wurde zum ersten Mal levantinisches Gebiet einbezogen, im September 2000 wiederholte man dieses Unternehmen: 250 Teilnehmer aus allen Zweigen der Altertumswissenschaften trafen sich in Jordanien. Neben Berichterstattungen über neue Forschungen aus dem gesamten römischen Imperium in Amman besuchte man Bauten entlang des Limes, der das jordanische Gebiet durchzieht.
DIE BURG VON LAWRENCE OF ARABIA
Der Eindruck, den diese Festungswerke in der Wüste vermitteln, ist überwältigend: Licht, gleissende Sonne und Kargheit der Vegetation mögen die eine Ursache, der Erhaltungszustand der Monumente die andere sein. Hier findet eine Begegnung mit der Antike statt, die in ihrer Intensität mit Schilderungen von Reisen in der klassischen Welt aus dem 18. und 19. Jahrhundert zuvergleichen ist. Allerdings stehen der Ruinenromantik westlicher Ausprägung in diesem Land Bauwerke entgegen, deren Wirkung nicht vom malerischen Zerfall ausgeht, sondern von der Überlieferung architektonischer Einheiten.
Ein solches Monument ist Qasr el-Asraq (Kastell in Asraq), 90 Kilometer östlich von Amman gelegen und heute bequem auf einer asphaltierten Strasse zu erreichen. Asraq ist nach Palmyra die zweitgrösste Oase der syrischen Wüste. Sie ist seit prähistorischer Zeit in wechselndem Ausmass besiedelt und stellt einen Schnittpunkt verschiedener Wege zwischen Syrien und der arabischen Halbinsel dar. Lawrence of Arabia verbrachte den Winter 1917/18 mit seiner Armee auf dem Platz; ein Raum über dem Eingang in das antike Kastell diente ihm als Hauptquartier und Schlafstätte. Diese römische Festung, vermutlich im 4. Jahrhundert gebaut, ist als Viereck angelegt, Türme verstärken die Ecken, Räume verlaufen entlang der Mauern, der Eingang im Westen ist als Torbau vorgezogen und kann noch heute mit einer Türe aus einer einzigen Steinplatte verschlossen werden, deren Angeln als Zapfen oben und unten in einer Pfanne laufen. Baumaterial ist ein anthrazitfarbiger Basalt, ein Gestein, das das Bild dieser Wüstengegend bestimmt. Dieser in brettartige Platten gehauene vulkanische Werkstoff erlaubt dank seiner homogenen Struktur besondere Konstruktionsformen: Die Steinböden im erstenStockwerk ruhen auf Konsolen, die aus den Wänden herausragen. Treppenstufen werden - in gleicher Weise verankert - mit dünnen Steinbrettern und Hohlräumen zwischen den einzelnen Tritten verlegt. Trotz ihrer scheinbaren Instabilität haben sie den Jahrhunderten standgehalten!
Im etwa 60 mal 60 Meter messenden Qasr- Innengeviert steht heute eine mittelalterliche Moschee; die arabische Nutzung ist im Weiteren durch eine Inschrift von 1237 bezeugt. Kastelle, die einer arabischen Besiedlung entgangen sind, bezeugen, dass diese Fläche ursprünglich mit weiteren Bauten belegt war: Man benötigte Bad, Verwaltungsräume, Kultbauten - auch christliche Kirchen, Mannschaftsunterkünfte und Stallungen, Speicher und Wassertanks. Der Alltag der römischen Besatzung spielte sich offensichtlich innerhalb der Mauern ab, Siedlungsspuren rund um die Kastelle scheinen, wo nachprüfbar, zu fehlen.
Einen ganz anderen Eindruck vermittelt - nach dem farblich düsteren Kastell in der Asraq-Oase - Qasr Bshir, das, in beigem Gestein errichtet, sich unbeschreiblich schön in die Sandwüste des Mujib im mittleren Jordanien einbettet. Die Stätte istnur mit Wüstenfahrzeugen zu erreichen. Die quadratische Festung mit prägnanten Ecktürmen zeichnet sich in der weiten Landschaft als einziges Zeugnis menschlicher Tätigkeit ab. Der nahezu intakte, seit der Antike nicht mehr veränderte Baukubus wurde laut einer Inschrift über dem Eingangstor in den Jahren 293 bis 305 erbaut. Im Innenhof liegt zusammengestürztes Gestein, an dem man aber das Raumsystem entlang der Kastellmauern ablesen kann. In Qasr Bshir wirdeinem bewusst, wie langsam sich die Welt verändern kann, wenn der Mensch nicht eingreift. Allerdings soll in jüngster Zeit erwogen worden sein, das Kastell in ein Hotel umzuwandeln!
Die Situierung von Qasr Bshir mitten in der Wüste hat in der wissenschaftlichen Diskussion Anlass zu Fragen und neuen Denkansätzen über die Wüstenfestungen gegeben. Nach älterer Meinung soll das Kastell an einer Strasse gelegenhaben, die es zu schützen galt, gemäss der Vorstellung eines linearen Grenzsystems. Auch wenndie klimatischen Verhältnisse in der Antike günstiger waren als heute und eine etwas üppigere Vegetation zugelassen hatten, waren doch niemals die Grundvoraussetzungen für eine dichtere menschliche Besiedlung gegeben. Warum musste also eine Strasse unter militärischen Schutz gestellt werden? Und: Hat eine solche Grenzstrasseüberhaupt je bestanden? Die Zweifel sind begründet. Von amerikanischer Seite wird ein anderes Modell vorgeschlagen: Orte wie Qasr Bshir sind Kontaktpunkte zwischen römischen Beamten, die hier mit ihrem Verwaltungsapparat residieren, und den Nomaden der Wüste, Aussenposten in einer ins Niemandsland übergehenden Zone.
KEINE DEFINIERTEN GRENZEN?
Die Idee, dass in der syrischen Wüste keine exakte Grenze, keine Fortifikationslinie bestanden hat, steht in scheinbarem Widerspruch zur weit verbreiteten Vorstellung des Limes, die auf Mommsen zurückgeht und vieles von der Situation Deutschlands im ausgehenden 19. Jahrhundert in sich aufgenommen hat. Damit ist auf die lateinische Vokabel «limes» zurückzukommen: Nach dem Historiker Velleius (2, 120, 1), der um die Zeitenwende lebte, ist klar ersichtlich, dass der ursprüngliche Sinn des Wortes eine Einfallschneise in ein unzugängliches Gebiet bedeutet. In der Ausweitung des Begriffes wird er zur Strasse, zu einem Damm oder zu einer Zone zwischen zwei Regionen, letztlich dann zu einem Streifen zwischen zwei Welten - dem römischen Reich und dem Barbarikum. Er erfordert keine militärische Präsenz.
Setzt man Limes der Grenze gleich, ist ein Missverständnis inhärent. Das deutsche Wort Grenze ist ein Lehnwort aus dem Slawischen (polnisch «granica»), das im Zusammenhang mit den Gebieten des Deutschordens im 13. Jahrhundert in den norddeutschen Raum einfliesst. Seinen endgültigen Sinn erhält es nach dem Grimm'schen Wörterbuch durch Luther: «grentze oder landsende, da man aus einem lande yn das andere tritt.» Darin widerspiegeln sich die neuzeitlichen politischen Verhältnisse, wo das Landals Eigentum zugewiesen und damit eben «abzugrenzen» ist. Übergangszonen, wie sie die Antike zugelassen hat, gibt es rechtlich nicht mehr.
Wenn sich der römische Limes in Deutschland und in Britannien als fest gebaute, militärisch gesicherte Linie abzeichnet, so scheint er allerdings die Verkörperung dessen zu sein, was wir in der Neuzeit unter Grenze verstehen; die Ausmarchung ist evident. Trotzdem hat sich die archäologische Forschung der letzten Jahre mit ihrenneuen Aufschlüssen zur Völkergeschichte zunehmend schwer getan, an der Vorstellung einer starren Trennlinie am Limes festzuhalten; zu eng verwandt sind die kulturellen Relikte in einem Streifen beidseits der rätischen Mauer, der Palisaden in Deutschland und England, zu klein sind die Unterschiede im Fundgut in den Zonen hüben und drüben. Besonders die englische Forschung hat mit ihren Fragen das Bild von zwei Welten, die am Limes aufeinander treffen, aufgeweicht. Man interpretiert die Bauten heute weniger als militärische Verteidigungsanlagen denn als ein System, mit dem der Austausch in der Übergangszone kontrolliert, nötigenfalls reguliert werdenkonnte. Es ist nicht auszuschliessen, dass der Riegel gelegentlich auch gegen die Abwanderung aus dem römischen Reich vorgeschoben wurde!
Stellt man diese neuere Auffassung des Limes in den nördlichen Provinzen der vermuteten Funktionsweise der jordanischen Kastelle gegenüber, so sind die Widersprüche in ihrem Kern beseitigt. Die Limesbauten sind Kontrollposten ineiner kulturellen Überlappungszone, sie verhindern nicht einen Austausch, sondern stellen ihn unter staatliche Aufsicht. Die architektonischen Unterschiede der Limesbauten im westeuropäischen und im nahöstlichen Raum sind weitgehend durch die naturräumlichen Gegebenheiten bedingt. Interessant dabei ist die Tatsache, dass die Idee des Limes offensichtlich nicht in die Neuzeit übergeführt werden konnte.
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(Bild V. Garcia Marcos) |
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