Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)
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NZZ Feuilleton, 20. Oktober 2000, Nr.245, Seite 65
Venus - Göttin zwischen Himmel und Erde
Eine Ausstellung im Wallraf-Richartz-Museum Köln
In der bildenden Kunst wurde die Venus-Thematik bis in unsere Zeit immer wieder aufgegriffen. Der Mythos der Göttin bildete eine unversiegliche Inspirationsquelle für Künstler aller Epochen. Obwohl von Anfang an feststand, dass manche Pièce de résistance nicht auf Reisen geschickt würde, ging das Wallraf-Richartz-Museum in Köln mit Erfolg das Wagnis ein, sich erstmals in einem repräsentativen Überblick mit der Gestalt der Venus in der Kunstgeschichte zu befassen.
Keine andere Göttin konnte sich an Schönheit mit ihr messen. Paris, der trojanische Prinz, übergab ihr die Siegestrophäe, den goldenen Apfel. Venus stellt denn auch das Urbild von Schönheit und Liebe dar. Beinahe das gesamte Spektrum menschlicher Leidenschaften, Begierden, Sehnsüchte und Ängste findet in ihr seinen Spiegel. Sie war im Orient als Ischtar-Astarte längst bekannt, ehe sie zur griechischen Aphrodite und später zur römischen Venus wurde. Die Darstellungen der Göttin sind geprägt von vielschichtigen Interpretationsmöglichkeiten, humanistischen Deutungen, barocken Allegorien bis hin zur Tiefenpsychologie. Durch die Assoziationen mit der Inkarnation des Weiblichen, mit Erotik, Fruchtbarkeit, Schönheit, Verführung, hat Venus bis auf den heutigen Tag nichts an Faszination eingebüsst.
Konzept und Realisierung
Erstmals befasst sich nun eine Ausstellung in einem breit gefächerten Panorama mit der Gestalt der Göttin. Die Schau, die das Wallraf-Richartz-Museum zusammen mit der Alten Pinakothek in München und dem Museum voor Schone Kunsten in Antwerpen unter dem Titel «Faszination Venus - Bilder einer Göttin von Cranach bis Cabanel» erarbeitet hat, vermittelt einen vielfältigen Blick auf Werke vom 16. bis zum 19. Jahrhundert und damit auf einen zentralen Themenkreis abendländischer Kunst. Anregungen mag die 1992 in Paris, Philadelphia und Fort Worth gezeigte Ausstellung «Les Amours des Dieux» gegeben haben.
Die rund 200 Gemälde, Zeichnungen, Grafiken und Plastiken sind nach Sinnzusammenhängen in zehn Komplexe gruppiert: Venus - Toilette der Venus - Venus, Bacchus und Ceres - Venus und Amor - Venus und Mars - Venus und Aeneas - Urteil des Paris - Triumph der Venus - Venus Anadyomene. Dabei werden die Themen in länder- und zeitübergreifender Entwicklung vorgestellt. So setzt die Ausstellung auf Grund der Quantität und der Qualität der Produktion folgende Schwerpunkte: frühe Neuzeit in Venedig, Florenz und den nordischen Ländern, Zeit des Manierismus und des Barock im Süden wie im Norden, französisches 18. Jahrhundert.
Dass Inkunabeln und Zimelien wie Botticellis «Geburt der Venus», Giorgiones «Schlafende Venus», Tizians «Venus von Urbino», Bouchers «Triumph der Venus» oder Ingres' «Venus Anadyomene» nicht ins Ensemble eingegliedert werden konnten, stand für die Veranstalter a priori fest: «Es sind Bilder magischer Anziehungskraft für ein erwartungsvolles Publikum vor Ort.» Das heisst nun aber nicht, dass in Köln die zweite Garnitur von Venus-Darstellungen versammelt wäre. Im Gegenteil. Die Messlatte ist hoch gelegt, allerdings nur so hoch, wie es die Leihgeber zuliessen. Hin und wieder wird ein Meister durch seine Werkstatt vertreten. Doch insgesamt ist die bei den heute schwer zu realisierenden Themenausstellungen anvisierte Balance zwischen Erstrebtem und Erreichbarem hergestellt. Von Cranach, Tizian, Tintoretto, Veronese und Vasari über Spranger, Carracci, Poussin, Rubens und van Dyck bis Boucher und Courbet spannt sich der Bogen der Exponate.
Es erstaunt wohl kaum, dass sich die Künstler der Neuzeit von zahlreichen, meist durch die Antike festgelegten Themen und Motiven leiten liessen. In griechischer und römischer Zeit hatte sich eine variantenreiche Venus-Typologie entwickelt. Sowohl durch literarische Überlieferungen - vor allem durch die «Metamorphosen» von Ovid sowie die Dichtungen von Lukrez und Horaz - als auch durch erhaltene Bilder lebten künstlerische Vorstellungen weiter und vermittelten den Malern und Bildhauern späterer Epochen Anregungen. Eine wichtige Rolle spielten dabei auch die seit dem 15. Jahrhundert immer zahlreicheren ausgegrabenen antiken Statuen und Reliefs.
Die Spannweite dieser von Ekkehard Mai und Ursula Weber-Woelk mit Umsicht und ästhetischem Flair inszenierten Ausstellung wird schon in der Ouverture ersichtlich. Hier die Venus aus Botticellis Werkstatt (um 1488), dort diejenige von Amaury-Duval (l862), direkt gegenüber Palma Vecchios «Ruhender Venus» von 1520, die sich ohne Attribute dem Betrachter regelrecht zur Schau stellt und so in die Zukunft weist. Sie wird flankiert von den mehrschichtigen und mit allegorischen Verweisen gespickten Bildfindungen Vouets und Natoires. Die reizvolle Kupfertafel des Bologneser Malers Domenico Maria Viani wiederum verdeutlicht den Übergang von der edlen, in sich ruhenden Venus des Cinquecento zum lebensnahen Bildnis einer Hinterzimmer-Göttin.
Eleganz und erotischer Zauber
Die sinnliche Anziehungskraft der Frau in einer intimen Situation findet sich auch in Darstellungen, die Venus bei der Toilette zeigen. Nahezu unbekleidet pflegt sie ihr Äusseres und betrachtet sich dabei im Spiegel, allein oder umgeben von Assistenzfiguren wie Amor, Amoretten, Dienerinnen. Das Thema war besonders beliebt in der venezianischen Malerei des 16. Jahrhunderts, deren Leitfiguren - Bellini, Tizian, Tintoretto, Veronese - wegweisende Formulierungen gefunden haben. Giorgio Vasari umgibt die Göttin mit den drei Grazien. Dieses Motiv sollte in den folgenden Jahrhunderten zu den beliebtesten in der Venus-Ikonographie werden. Darüber hinaus initiiert Vasari auch kunsttheoretische Fragestellungen. Weibliche Schönheit, umgeben von Spiegeln, Perlen und Schmuck, hat wohl nirgendwo eine so reiche Darstellung gefunden wie in den höfischen und modischen Bildschöpfungen der Schule von Fontainebleau. Im Dixhuitième schliesslich erreichten Eleganz und erotischer Zauber vor allem in Bouchers Toilettenszenen höchste Perfektion.
So wird der Gang durch die verschiedenen Themenkreise zu einer abwechslungsreichen Begegnung mit den zahlreichen Facetten der Liebesgöttin, mit Bekanntem und Neuem, mit anregenden Konfrontationen über Epochen hinweg. Die Hängung der Bilder vor dezent graublauem Hintergrund, eindrucksvoll kombiniert mit Plastiken, trägt das ihre bei. Die Zeichnungen und die Druckgrafik, zum Teil auserlesene Blätter von komplexem Gehalt, sind in eigenen Kabinetten zu sehen. Sie ergänzen die Gemälde sinnvoll und schliessen gewisse Lücken.
Venus, die unübertroffene Schönheit, die Verführerin von Göttern und Sterblichen, die Personifikation des Verlangens, der Sinnlichkeit, der Liebe wurde im Lauf der Zeit zum Ausdruck des «Ewig-Weiblichen» schlechthin. Sie vollzog einen Bedeutungswandel von der Mythologie über die Allegorie zur Natur- und Existenzsymbolik. Dafür stehen die Werke von Böcklin, Courbet, Cabanel und Cézanne. Dass der Mythos nicht mehr griff, machen Baudelaires Worte deutlich: Der eigentliche Charme einer solchen Figur liege in der formalen Arabeske, die sie in den Raum schreibe - mithin in Anmut und Ästhetik der puren Form, nicht mehr in dem, was literarischer Inhalt sei. Cézannes Bild aus Malibu ist schliesslich dem «Ewig-Weiblichen» gewidmet, dem Triumph der Venus über alle Gesellschaftsschichten hinweg, bar jeder mythologischen Provenienz. «Was bleibt, ist nur mehr Adoration, Vision und Realität des Verlangens, die immerwährende Sensation der Sinne in Gestalt der Frau» (Ekkehard Mai).