Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)

 

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Tages-Anzeiger WISSEN Ausgabe vom 22.08.2000 Seite 42

 

Troia - älteste Schichttorte der Archäologie

Seit zwölf Jahren wird in Troia wieder gegraben. Viele Rätsel haben sich inzwischen gelöst.


Autor: Von Helga Kessler

Gerade mal fünfzehn Minuten dauerte früher eine Führung durch die Grabungsstätte von Troia. Heute benötigt Grabungsleiter Manfred Korfmann acht bis zehn Stunden dafür - er könnte das Ganze aber ohne Probleme auf die doppelte Länge ausdehnen, von "mittellang auf wirklich lang". Solche Scherze gefallen dem weisshaarigen 58-Jährigen, der seine Mitarbeiter wie seine Gäste stets morgens um sechs Uhr auf die Grabungsstätte bestellt. Um die Mittagszeit sei es viel zu heiss, begründet das der Unermüdliche - freilich dauern Führung wie Arbeiten dann bis in den frühen Abend hinein.

Korfmann ist, man muss es wohl so sagen, "besessen" von Troia. Die Ausgrabung ist sein Lebenswerk. "Ich mache keinen Urlaub, die Abende gehen drauf, die Wochenenden auch", bekennt er. Vor zwölf Jahren hat der Tübinger Ur- und Frühgeschichtler die Arbeit auf dem völlig mit Gras überwucherten Hügel in der türkischen Provinz Canakkale wieder aufgenommen - nach einer Pause, die 50 Jahre gedauert hatte. Seit 1988 kommt er jeden Sommer für drei bis vier Monate an den Ort. Osman Bey nennen die Menschen in der Region respektvoll den Professor, der fliessend Türkisch spricht und gerne mal bei einem Tee im Schatten eines Baumes "die Probleme des Dorfes löst", wie andere über ihn sagen.

Homer kannte Troia

Das Vertrauen der Menschen, die dort leben, ist ihm wichtig. "Ich möchte erreichen, dass die Leute sagen, der Korfmann hat viel Erde bewegt, aber wir können auch nachvollziehen, was da gelaufen ist", beschreibt er seine selbst gewählte Verpflichtung. Korfmann und seine Mitarbeiter - in diesem Jahr 60 Personen aus 13 Nationen - haben mit viel Fleiss gegraben, und wurden mit grossen Erfolgen belohnt. Und mit jedem neuen Fund hat sich das Rätsel Troia weiter gelöst. So hat Korfmann heute keinen Zweifel mehr daran, dass Homer den Ort gekannt hat, als er um 730 v. Chr. die "Ilias" verfasste. Zu der Zeit, als der Dichter lebte, war Troia allerdings eine Ruine. Doch blieben die "wohlgeformten Mauern" wie auch "die breiten Waschgruben", von denen Homer in der "Ilias" berichtet, bis heute erhalten - Korfmann hat sie gefunden. Das "turmbewehrte Ilion" ist Troia, stellt der Archäologe fest und lässt keinen Zweifel daran, dass wenn einer diese Behauptung aufstellen kann, er derjenige ist.

Wie Sir Arthur Conan Doyle für seine Sherlock-Holmes-Romane die Szenerie Londons nutzte, könnte Homer seine Dichtung über die letzten Tage des Troianischen Krieges nach Troia verlegt haben. Ob der Troianische Krieg wirklich stattgefunden hat, ist damit nicht beantwortet, auch wenn brandgeschädigte Mauern und Haufen von Steinschleudern in der zeitlich passenden Fundschicht (um 1250 v. Chr.) auf kriegerische Auseinandersetzungen hindeuten. Für Korfmann ist diese Frage ohnehin nebensächlich. Er sieht in der "Ilias" schlicht ein "grossartiges Stück Weltliteratur".

Troia gilt als "Schicksalsberg" der Archäologie - hier hat sie ihre Methoden entwickelt, und hier wird sie, bis heute, aufs Höchste gefordert. Begonnen hat alles mit dem deutschen Grosskaufmann Heinrich Schliemann. Als dieser Ende des 19. Jahrhunderts in Troia zu graben begann, waren die archäologischen Methoden noch lange nicht so entwickelt wie heute. Schliemann legte einfach einen 40 Meter breiten und 17 Meter tiefen Graben in den Hügel - und zerstörte dabei vieles. Weil ihn die Abfolge der Besiedlungen kaum interessierte, datierte er seine Funde falsch. Erst im letzten Jahr seines Lebens habe Schliemann erkannt, dass er nicht den "Schatz des Priamos" geborgen haben konnte, weiss Korfmann. Der berühmte Goldschmuck, der von Schliemann nach Berlin entführt worden war und in den Wirren des Zweiten Weltkriegs den Weg von Berlin ins Moskauer Puschkin-Museum fand, ist in Wahrheit 1250 Jahre älter, entstammt also nicht dem homerischen Troia, sondern einer Hochkultur um 2500 v. Chr.

Modernste Technik

Heute graben die Archäologen Schicht um Schicht aus und nutzen modernste Methoden zur Datierung. Seit langem bewährt hat sich die Bestimmung des Gehalts an radioaktivem Kohlenstoff C-14, der sich zum Beispiel in verkohlten Getreidesamen findet. Erst kürzlich gelang zwei Physikern von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften die Datierung einer im Jahr 1997 gefundenen Quellhöhle, indem sie die "radioaktive Uhr" des Kalksteins ablasen. Sie bestimmten die Menge an Thorium-230, das beim radioaktiven Zerfall von Uran-234 entsteht. Das verblüffende Ergebnis: Die Wasseranlage ist 5000 Jahre alt, wurde also bereits von den ersten Besiedlern, zirka 3000 v. Chr. genutzt.

Mit einem Magnetometer suchen die Archäologen nach positiven Signalen, die etwa durch Scherben aus gebrannter Erde ausgelöst werden, weil diese Eisenoxid enthalten. Genauso interessant sind die Stellen, wo keine Signale festzustellen sind - dort könnten Mauern oder Strassen aus Kalkstein unter der Erde liegen. Die Magnetometer-Methode zeigt dem Archäologen, wo er graben muss. In diesem Jahr wurde so eine Mauer aus der hellenistischen Troia-Epoche (250 v. Chr.) gefunden. Sie liegt etwa 100 Meter weiter vom Zentrum entfernt, als bislang gedacht - mithin war die Siedlung also grösser. Satellitenaufnahmen, die jeden Stein zeigen, dokumentieren den Stand der Grabungsarbeiten.

Die Archäologen haben heute ein recht genaues Bild von der Besiedlung Troias, die im dritten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung begann und im fünften Jahrhundert unserer Zeit endete. "Keine andere Grabungsstelle umfasst einen derart langen Zeitraum", betont Korfmann. Er ärgert sich immer wieder über Besucher, die vom viel "schöneren" Ephesos oder Pergamon schwärmen - "Das ist doch alles viel jünger!"

Zuletzt waren die Römer in Troia, davor die Griechen. Insgesamt werden neun Hauptbesiedlungen - Troia I bis IX - unterschieden, und die werden dann jeweils wieder unterteilt, etwa in Troia Ia bis Ik. So kommt es, dass Manfred Korfmann bei Führungen erst vom ältesten Tor erzählt und dann vom allerältesten - beide entstammen Troia I.

Wie bei einer Schichttorte wurden die Städte aufeinander aufgebaut, und häufig wurde Baumaterial von früher wieder verwendet. Nicht so von den Römern. Sie trugen die gesamte Hügelkuppe ab (Troia VI bis VIII) und errichteten darauf Troia IX. Als wäre das noch nicht kompliziert genug, zerstörten immer wieder Brände und Erdbeben die Anlage. Auch durch die Ausgrabungen wanderten Steine und Scherben an Stellen, wo sie eigentlich nicht hingehören. All das bedeutet eine Herausforderung für die Ausgräber, aber auch für die Besucher. "Troia VI" steht auf dem Täfelchen einer Grabungswand, darüber kommt das viel jüngere "Troia III", daneben "Troia II" - das ist mehr als verwirrend. Im vergangenen Jahr aufgestellte Schautafeln vermitteln inzwischen aber auch dem Laien eine gute Vorstellung von der komplizierten Geschichte dieses Hügels.

Die grösste Ausdehnung und Bedeutung hatte Troia VI, Homers Troia. Wie Korfmanns Ausgrabungen ergaben, erstreckte sich die Burganlage und die sie umgebende Unterstadt auf einer Fläche von 270 000 Quadratmetern. Die Siedlung bot Raum für 5000 bis 10 000 Menschen - "mehr Menschen konnte die Landschaft nicht ernähren", meint Korfmann. Troia hatte seinen Reichtum von den Schiffen, die in der Bucht vor Troia lagen und auf ihrem Weg vom Schwarzen Meer in die Ägäis auf günstigen Wind warten mussten - das Kreuzen gegen den Wind war damals noch nicht möglich.

Anatolische Kultur

Die Handelsbeziehungen, die kulturellen Verbindungen interessieren Korfmann vor allem. "Ich grabe nicht wegen Homer oder Schliemann", stellt er trotzig fest. Er will wissen, woher das Zinn für die Bronze kam, woher das blaue Lapislazuli-Gestein, das für Äxte verwendet wurde. "Womöglich kommt beides aus Afghanistan", vermutet Korfmann.

Vor fünf Jahren gelang dem Grabungsteam ein besonders spektakulärer Fund. Damals kam ein Bronzesiegel zum Vorschein, das mit luwischen Hieroglyphen bedeckt war, also mit Schriftzeichen der Hethiter. Spätestens damit war für Korfmann der Beweis erbracht, dass das Troia Homers nicht griechisch war, sondern dem anatolischen Kulturkreis angehörte. Doch bislang ist das die einzige Münze, die ausgegraben wurde. Unklar ist auch, ab wann es Pferde in Troia gab, schon in Troia V oder erst in Troia VI? Gingen diese beiden Epochen direkt auseinander hervor oder gab es eine Pause? Wie endete Troia VI, mit einem Erdbeben oder einem Krieg? Was bedeuten die verbrannten Mauern in Troia VIIb, die gerade erst gefunden wurden? War es ein gewöhnlicher Brand oder Folge einer feindlichen Invasion? Fragen gibt es noch genug. "Man könnte noch 150 Jahre weitergraben", meint Korfmann. Er will allerdings die Grabungsaktivitäten in Troia vom nächsten Jahr an deutlich zurückfahren. Langfristig sollen zehn bis 20 Personen vor Ort sein, mehr nicht. Seinen Studenten hat der umtriebige Archäologe bereits ein neues Betätigungsfeld besorgt. Und wie nicht anders zu erwarten, gibt es eine Verbindung zu Troia. "Ich will als Troianer in den Schwarzmeerraum schauen", sagt Korfmann.

Dort, in einer Steppenregion in der Nähe von Tiflis, sollen seine Schüler in den nächsten Jahren frühere Kulturen untersuchen und das Wissen über vorzeitliche Handelsbeziehungen erweitern. Korfmann war selbstverständlich schon mehrfach vor Ort. Dabei hat er festgestellt, dass die Landschaft, in der die Grabungsstelle liegt, schützenswert ist. Nun will er auch dort, wie zuvor in Troia, einen Nationalpark einrichten. "Ich hab das Schewardnadse schon gesagt", berichtet Korfmann. Der georgische Ministerpräsident weiss also, was er zu tun hat.

www.uni-tuebingen.de/ufg/troia

BILDER MANFRED GROHE

 

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Stabile Mauern: links im Bild die Nordost-Bastion von Troia VI.

 


Ein Weltkulturerbe, das auf seine Erben wartet

 

Die türkische Regierung zeigt wenig Interesse an einem Museum in Troia. Auch der Troia-Nationalpark existiert nur auf dem Papier.


Autor: Von Helga Kessler

Gemütlich schlängelt sich der Skamander durch sein Flussbett. Auf Sandbänken erholen sich Schwarzstörche und Reiher - ein malerisches Bild. Nur wenige Minuten später wird es von einem dumpfen Knall zerstört. Es ist Samstagabend, acht Uhr. Wir befinden uns am Rand des Nationalparks Troia, eingerichtet im Jahr 1996.

Ausserhalb darf gesprengt werden. Die benachbarte Zementfabrik braucht neues Material. "Sie können das Tal hier zerstören, aber dann sollen sie es zugeben", schimpft der Troia-Ausgräber Manfred Korfmann. Er würde die Gegend gerne so erhalten, wie sie ist, und er hat viel Einsatz dafür erbracht. Genutzt hat es bislang wenig.

"Seit 1996 ist nichts Positives passiert", stellt Korfmann-Schüler Rüstem Aslan fest. "Und es sieht auch für die Zukunft schlecht aus". Über Kanäle werde das Wasser des Skamanders abgezapft, in der Folge würden die Bauern noch intensiver Ackerbau betreiben. "Es braucht einen vernünftigen Plan, um den einzigen unverbauten Platz zwischen Canakkale und Assos zu retten", fordert Aslan.

Einen türkischen Plan gibt es bislang nicht. Freilich hat Korfmann einen im Kopf. Danach könnte im Nationalpark eine Ökoregion entstehen mit biologisch angebauten Produkten wie Hanf, Tomaten oder Baumwolle, die mit einem Gütesiegel "made in Troia" zu verkaufen wären. Windkraftanlagen am Rande des Nationalparks könnten "sanfte" Energie produzieren. "Die Menschen hier nehmen mir ab, dass ichs gut meine", sagt Korfmann. Doch solange die Regierung nicht handelt, bleibt es bei seinen guten Ideen.

Obwohl längst geplant steht bis heute kein Museum in Troia. Der Baugrund dafür wurde zwar beschlagnahmt und mit einem Drahtzaun gesichert, "aber seit Jahren sieht man nicht die geringsten weiteren Fortschritte", beklagt die türkische Zeitung "Radikal". Für die touristisch wenig erschlossene Region könnte ein Museum in Troia eine Chance sein, die Besucherzahl könnte von 200 000 auf 500 000 steigen, appelliert "Radikal" an die Regierung. Doch die fühlt sich offenbar nicht als Erbe des Weltkulturerbes Troia.

Solange das so ist, solange es kein Museum gibt, dürfte es schwer fallen, die Funde aus Troia, die auf über 40 Museen und Sammlungen weltweit verteilt wurden, zurückzufordern. Und anders als von Korfmann gewünscht, werden auch die rund 700 Exponate aus Troia, die ab nächstem Frühjahr in drei deutschen Städten gezeigt werden, am Ende der Ausstellung nicht den Weg ins Troia-Museum finden können.

 

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Ruinenhügel: Troia erlebte neun Besiedlungen.

 

 

 


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