Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)

 

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NZZ VERMISCHTE MELDUNGEN Mittwoch, 09.08.2000 Nr.183   48

 

«Mais»terhaft in die Irre geführt

Zunehmende Beliebtheit von Irrgärten - auch in der Schweiz

Von Flavian Cajacob*

Irren ist menschlich, umherirren noch menschlicher. Schon Griechen und Goten, Kaiser und Könige zeigten sich fasziniert von den weit verzweigten Gängen der Labyrinthe und Irrgärten. Vom irre machenden Verliess haben sich die planerischen Wunderwerke im Laufe der Jahrhunderte zu Stätten lustigen Wanderns gewandelt - und spätestens seit dem Zeitalter des Barocks gelten Labyrinthe mehr als Gärten des Vergnügens denn als Orte des Verbüssens. Heute, ein halbes Jahrtausend nach ihrer eigentlichen Blütezeit, erleben die verästelt angelegten Irrwege von Labyrinthen eine eigentliche Renaissance. Vor allem in England erfreut sich das Schreiten zwischen geometrisch ausgerichteten Stauden und Sträuchern grosser Beliebtheit, doch auch diesseits des Kanals entstehen immer mehr Irrgärten nach klassischem Vorbild - auch in der Schweiz.

Der englische Guru der Labyrinthe

Mit von der Partie ist der Steffisburger Landwirt Christian Kropf. Vierzehn Stunden lang ist er an einem schönen Juni-Tag durch sein Maisfeld gestapft. Nicht irgendwie oder kreuz und quer, sondern satellitengesteuert, den Aeby-Mäher vor sich her schiebend und exakt den Vorgaben des englischen Irrgarten-Designers Adrian Fisher folgend. Der gilt als Guru unter seinesgleichen und hat als solcher in den letzten zwanzig Jahren weltweit über zweihundert ausgeklügelte Irrwegsysteme entworfen.

Den Futtermais von Bauer Kropf hat Fisher mit einem typisch helvetischen Sujet bedacht: Tell's Apfelschuss, welcher in seinen Konturen freilich nur vom Flugzeug aus zu erkennen ist. Wer hingegen auf dem Boden bleibt, dem bietet sich die Möglichkeit, zwei Stunden lang inmitten von mannshohem Kolbengewächs umherzuirren, immer auf der Suche nach einem - dem einzigen - Ausweg.

Vier Kilometer lang ist das Wegnetz des bisher grössten schweizerischen Irrgartens insgesamt, das Christian Kropf mit Hilfe des Satelliten-Navigationssystems GPS und Fishers Plänen getreu auf den Acker gebracht hat; Aussichtsturm, Schatztruhen und eine Festbeiz sollen das Maisfeld mit seinen verwinkelten Pfaden zu einem Publikumsmagneten machen, zu einem tagesfüllenden Erlebnis für die ganze Familie. So, wie es bereits vor Jahresfrist der Fall gewesen ist, bei der Erstauflage des Irrgarten-Happenings am Tor zum Berner Oberland. Geöffnet ist der Mais-Irrgarten an der Thunstrasse in Steffisburg bis zum 1. Oktober täglich von 10 Uhr bis 19 Uhr, samstags bis 21 Uhr. Die Idee zum Lustwandeln am Thunersee lieferte der ortsansässige Tournee-Manager Ralph Gluch. Auf einen entsprechenden Bericht im Deutschen Fernsehen hin suchte Gluch zum einen den Kontakt zum Labyrinth-Schöpfer Adrian Fisher, zum anderen nach einem geeigneten Stück Land für einen eigenen Mais- Irrgarten. Nach einigen vergeblichen Appellen an die heimische Landwirtschaft fand er in Christian Kropf schliesslich doch noch einen Partner für sein Vorhaben, und so konnte im Sommer 1999 in Steffisburg erstmals in grossem Stile umhergeirrt werden.

Dass das Labyrinth im Maisfeld gleich auf Anhieb zwanzigtausend Besucher anzulocken vermochte, darüber waren sogar die (zweck)optimistisch gestimmten Initianten letztlich baff erstaunt. Es scheine, so meint Ralph Gluch heute, als ob in einer Zeit von virtuellen Welten und computergestützten Abenteuergames eine traditionelle Spielerei wie das Umherirren im Labyrinth einem echten Bedürfnis entspreche. Überrascht hat Gluch und Kropf vor allem eines: Nicht die Kinder waren es, die den Grossteil der Besucherschaft gestellt haben, sondern die Erwachsenen.

Zweiter Irrgarten in Rümlang

Vom letztjährigen Erfolg beflügelt, haben die Irrgarten-Initianten inzwischen in den Kanton Zürich expandiert. Zusätzlich zu Steffisburg wurde heuer in der Katzenrüti bei Rümlang das zweite von Adrian Fisher entworfene Mais-Labyrinth der Schweiz geschaffen. Aus der Luft als Feldschlösschen-Logo wahrnehmbar, erstreckt sich der weitverzweigte Wegewirrwarr über zweieinhalb Kilometer. Das Konzept mit Festbeiz und Schatzsuche findet auch hier Anwendung; mittels eines Plan-Puzzles und tippgebender Nothelfer soll zudem ein jeder und eine jede innerhalb einer Stunde den Weg zum Ausgang finden.

Investierten die Veranstalter letztes Jahr 150 000 Franken in den Steffisburger Irrgarten, so beläuft sich das Budget heuer auf 120 000 Franken pro Standort. Wieder eingefahren werden sollen die Kosten laut Ralph Gluch zu 85 Prozent mit Eintrittsgeldern. «Um schwarze Zahlen schreiben zu können, brauchen wir an beiden Orten jeweils 18 000 Besucherinnen und Besucher», rechnet er vor. Zusätzliche Einnahmequellen bilden die Festwirtschaften sowie ein bescheidenes Firmensponsoring.

Dass sich das Engagement letztlich auszahlen wird, davon ist Christian Kropf überzeugt. Reich, nein, das werde er mit dem Irrgarten bestimmt nicht, sagt der Landwirt, aber ein bescheidenes neues Standbein könne er sich damit vielleicht schon schaffen. Nachahmer im ganzen Land liessen auf jeden Fall den Schluss zu, dass die Idee mit dem Labyrinth im Futtermais nicht ganz abstrus sei - wenn sie denn seriös umgesetzt werde. Ein paar Bahnen in den Acker schlagen und ein Kassahäuschen an den Feldrand stellen, damit habe es sich aber noch lange nicht, lächelt Kropf; wer seine Besucher wirklich überzeugen wolle, der brauche ein sauberes Design und einen professionellen Auftritt.

In Steffisburg geht man selbstredend davon aus, dass diese Attribute auf das eigene Mais-Labyrinth zutreffen. Dementsprechend sind Kropf und Gluch zuversichtlich, was die erhofften Besucherscharen anbelangt. Und wird das Umherirren im Schatten des Thuner Schlosses erneut zum Erfolg, so wollen die beiden im nächsten Jahr nach Berns und Zürichs auch Basels Bevölkerung in die Irre führen. Die Suche nach einem geeigneten Standort hat auf jeden Fall schon begonnen. An die Aargauer dagegen haben bereits andere gedacht. Sie können in Muri - wenn auch nicht nach Fishers Plänen - ihren Weg durch den Mais suchen.

Adrian Fishers weltweite Projekte findet man unter www.maizemaze.com.

* Der Autor arbeitet als freier Journalist in der Schweiz und in Deutschland.

  

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Katzenrüti - Rümlang
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Steffisburg BE
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Labyrinth-Bilder

 


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