Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)
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Neue Zürcher Zeitung LITERATUR UND KUNST Samstag, 03.06.2000 Nr.128 78
Im Amphitheater
Unterhaltungsindustrie im antiken Rom
Von Annalis Leibundgut
«Cäsaren und Gladiatoren, die Macht der Unterhaltung im antiken Rom» nennt sich eine Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg. Anders als der Titel suggeriert, beschränkt sich die Schau mit ihren Exponaten aus allen wichtigen Museen Europas keineswegs auf Gladiatorenkämpfe, sondern vermittelt ein beeindruckendes Gesamtbild von allen Sparten der Unterhaltung: Tierhetze, Wagenrennen, Zirkusspiele und Theateraufführungen.
Es dürfte kein Zufall sein, dass dieses in der Ausstellungslandschaft bis jetzt stark vernachlässigte Thema in einer Zeit konzipiert worden ist, die, wie kaum eine andere je zuvor, die Macht der allgegenwärtigen populären Unterhaltung in Fernsehen, Sportveranstaltungen und öffentlichen Schaustellungen kultiviert und ihre Helden zu Idolen stilisiert. Juvenals berühmtes Schlagwort «panem et circenses», Brot und Zirkusspiele für das Volk, gibt indes ein Phänomen wieder, welches die Machtkonstellation im antiken Rom seit Cäsar und Augustus unter fast allen Kaisern charakterisiert und spezifisch römisch ist, auch wenn ältere Vorläufer bekannt sind.
GRAUSAMKEIT
Die ursprünglich wohl religiöse Verbindung von Gladiatorenkämpfen, Totenritualen und Blutopfern ist in der Kaiserzeit längst zur reinen Macht- und Siegesdemonstration der Herrschenden und zur Belustigung und Beschwichtigung der Massen «verkommen», womit keine Wertung intendiert sein soll, denn in der römischen antiken Literatur finden sich weder eine grundsätzliche Kritik an diesen Spielen noch Äusserungen des Mitleids. Wenn die grausamen Gladiatorenspiele, die blutigen Tierhetzen und die Hinrichtungen ad bestias (Zerreissen des wehrlosen Opfers durch Tiere) den heutigen Menschen mit moralischer Entrüstung erfüllen, so mag dies vornehmlich bedingt sein durch die in unserer christlichen Zivilisation bis heute mitschwingende Abscheu vor dem römischen Vernichtungsapparat, dem die ersten Christen in den Amphitheatern zum Opfer gefallen sind. Dabei vergisst man, dass diese Hinrichtungsart nach römischem Recht auch bei Straftätern angewandt wurde, welche, wie die Christen, generell die Ordnung des Staates gefährdeten. So sind es denn erst die ältesten christlichen Autoren, welche die grausamen Spektakel anprangern und dadurch unsere Einstellung bis heute prägen. Für diese Interpretation sprechen auch die vielgelesenen Romane und berühmten historischen Filme wie «Ben Hur», welche unsere öffentliche Meinung seit langem bestimmen.
Man kann sich angesichts der täglich in den Medien verbreiteten Grausamkeiten und der Vernichtungsmechanismen, welche unser Jahrhundert prägten, auch fragen, ob Norbert Elias und andere Soziologen recht hatten, wenn sie unsere Abscheu vor Gladiatorenspielen im Sinne eines Fortschritts als Zivilisationserscheinungen werten. Richtiger dürfte doch wohl sein, die Grausamkeit als anthropologische Grundkonstante des Menschen zu werten, die durch unsere christliche Ethik von uns mit mehr oder weniger Erfolg verdrängt und durch mehr oder weniger mit Entrüstung getarnte Abscheu verschleiert wird. Ludwig Friedländer, dem wir in seiner Sittengeschichte (1889, 6. Auflage) eine der besten alten Übersichten mit reicher antiker Literaturangabe zu Gladiatorenspielen verdanken, verweist, ähnlich wie später Norbert Elias, auf die fundamentalen Unterschiede in der Denk- und Empfindungsweise, welche zwischen den Menschen der Neuzeit und dem Römer, auch dem gebildeten, herrschen, der an den Spielen und selbst den Zerfetzungen und Martyrien der Unterlegenen leidenschaftliches Interesse zeigt, wie die antiken Quellen belegen.
VERHÄLTNIS BILD/LITERATUR
Betrachtet man jedoch die vielfältigen und qualitätvollen Hamburger Exponate unter diesem Aspekt, so fällt auf, dass - anders als in der antiken Literatur - kaum je eine bildliche Darstellung die Rohheit der Szenen schildert: So kniet etwa der Sieger auf dem am Boden liegenden Besiegten und erhebt gegen ihn den Dolch, um ihn zu töten, oder der Reiter eines schönen Berliner Wagenrennenreliefs sprengt über den Toten hinweg, ohne dass Verletzungen gezeigt würden. Erst in der späten Kaiserzeit ändern sich die Verhältnisse: So zeigen afrikanische Mosaiken (die in der Ausstellung nicht zu sehen sind), grausamere Szenarien. Anders jedoch, als es uns Friedländer wie oben erwähnt suggerieren will, zeigt gerade die Bildkunst seiner Zeit eine weit brutalere Darstellungsweise als die antiken Bildwerke der ersten Jahrhunderte. Das Historiengemälde von Gérôme von 1872 aus dem Phoenix Art Museum schildert einen Gladiatorenkampf in kaum zu überbietender Brutalität. Eine Ästhetisierung der Grausamkeit fehlt in der römischen Antike.
Welches die Gründe der erwähnten unterschiedlichen Rezeption des Phänomens der Grausamkeit innerhalb dieser beiden antiken Gattungen - Bild/Literatur - sind, verdiente nähere Untersuchungen. Während die wissenschaftliche althistorische Forschung zum Thema Gladiatoren in den letzten Jahren stark angewachsen ist und zu neuen wichtigen Erkenntnissen geführt hat, steckt die rein archäologische Aufarbeitung des reichen Materials immer noch in den Anfängen. Zwar haben gerade Forscher, welche der «Mentalitätsgeschichte» nahestehen (Paul Veyne, Paul Zanker), sich des Phänomens als Massenunterhaltung angenommen, doch gibt es immer noch keine zusammenfassende Publikation über Gladiatorendarstellungen. Die neuesten noch unveröffentlichten Untersuchungen (Friederike Fless, Martin Langner) stellen eine Uniformität der Darstellungen, eine Typisierung und eine fast stereotype Konzentrierung des Bildmaterials auf signifikante Ausschnitte fest, die als Code dienen und dem antiken Betrachter sofort die nicht dargestellten blutigen Zusammenhänge klarmachen.
SPARTEN DER UNTERHALTUNG
Diese weitestgehende Ausblendung der krudesten Metzeleien, wie sie die antike Literatur in allen Details schildert und wie sie sich auf Mosaiken der Spätzeit in Hinrichtungsszenen der damnatio ad bestias gelegentlich finden, dürfte demnach weniger eine bewusste Option der Ausstellungsmacher sein als dem verfügbaren Material entsprechen. Besonders aufschlussreich ist das aus dem Ashmoleon Museum Oxford entliehene Relief, auf dem die zum Tode ad bestias Verurteilten in den oberen Registern des Reliefs an Stricke gebunden in die Arena geführt werden, während das unterste Register die wilden Tiere zeigt, ohne dass eine Konfrontation oder gar die Brutalität des Zerfleischens dargestellt wäre. Ein weiteres, zurückhaltendes Beispiel dieser Hinrichtungsart ist ferner in dem grossen Mosaik aus Tripolis zu erkennen.
Die Ausstellung gliedert sich in verschiedene Sparten der Unterhaltung: die Gladiatorenkämpfe in der «heroischen» Form des Zweikampfes, die venationes, die Tierhatzszenen, die Kampfarten der Athletenkämpfe, die Wagenrennen im Circus Maximus und die Welt des Theaters und der Burleske. Die Ausstellungsmacher haben sich bemüht, hervorragende Beispiele aus der Reliefkunst, der Plastik, der Kleinkunst aller Gattungen zusammenzutragen. Gerade aus den Gebieten der Wagenrennen bzw. des Theaters finden sich wichtige Reliefs aus Marmor und Ton. Beeindruckend auch die Vielzahl von Kleinkunst in Form von Bronzestatuetten, Spiegeln, Gläsern, Vasen und Lampen. Ein Prunkstück der Ausstellung ist die Marmorstatue spätesthellenistischer Machart eines siegreichen Faustkämpfers aus Neapel mit der Bildhauersignatur des Koblanos aus Aphrodisias, der sich formal an den griechischen Vorbildern der Klassik orientiert hat. Dadurch versuchen die Ausstellungsmacher auch die griechischen Vorbilder dieser Athletensportart in Erinnerung zu rufen. Die verschiedenen Helmarten, Beinschienen, Ausrüstungsgegenstände, Schild- und Waffenformen der Gladiatoren können nicht nur auf den Reliefs studiert werden, sie sind auch in Originalbronzen ausgestellt und vermitteln dem technisch Interessierten ein detailliertes Bild der Realien. Über die Organisation der Gladiatorenschulen, die soziale Zusammensetzung der Teilnehmer gibt der Katalog informativ Auskunft. Eine Videoanlage im Museum zeigt Ausschnitte aus den Wagenrennen von «Ben Hur». Mittels neuartiger Computersimulation findet der Besucher auf Knopfdruck Einblick in die virtuelle «Realität» des Amphitheaters, wobei er sich selbst sein Bild dieser Welt «erschaffen» kann. Der wissenschaftliche Erkenntniswert soll hier nicht zur Diskussion stehen, der Homo ludens im Sinne von Huizinga wird angesprochen.
Die Ausstellung vermag auch zu zeigen, dass die Bilder aus der Gladiatoren-, der Sportler- und der Theaterwelt allgegenwärtig waren und zum Bildbestand der Römer aller Schichten gehörten: im Hause als Gebrauchsgegenstand und als Hausschmuck in Form von Mosaiken oder Gemälden, im Grabbereich, im öffentlichen Bereich, als Graffiti an Wänden. Dass auch Frauen als Gladiatoren mitkämpften, belegt das in Halikarnass gefundene Relief mit Inschriften aus dem Britischen Museum. Bei Gladiatorenspielen unter Nero sollen nur Äthiopier, auch Frauen und Kinder, gegeneinander angetreten sein, wie wir aus antiken Quellen wissen.
Ähnlich wie Spitzensportler von heute wurden auch die siegreichen Gladiatoren und Schauspieler zu gefeierten Idolen, denen selbst die vornehmste Hofgesellschaft zu Füssen lag und um ihre erotische Gunst buhlte. Dass sie trotz ihrem Ruhm und ihrem gelegentlich immensen Reichtum einen sehr tiefen gesellschaftlichen Rang einnahmen, hat seine Parallele in einer anderen Schicht vergötterter, geliebter Aussenseiter, denken wir an die Kastraten in der Musikwelt, die noch in unserem Jahrhundert Triumphe feierten (P. Scholz).
Bis 18. Juni, vom 9. Juli bis zum 1. Okt. im Historischen Museum Speyer, anschliessend im Britischen Museum London. Zur Ausstellung ist ein informatives Handbuch bei Philipp von Zabern (ed. E. Köhne und C. Ewigleben) zum Preis von DM 39.80 erschienen.
Gladiatoren-Graffiti aus Pompeji
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