Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)
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Neue Zürcher Zeitung WOCHENENDE Samstag/Sonntag, 17/18.05.1980 Nr.113 73
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Griechische Impressionen aus dem letzten Jahrhundert
Von Jürg Schneider
Im Besitze des Baugeschichtlichen Archivs der Stadt Zürich befindet sich ein stattliches Photoalbum, dessen knapp hundert Bilder etwa je zur Hälfte in Griechenland - vornehmlich in Athen - und in Alt-Konstantinapel aufgenommen worden sind. Einige der qualitativ fast durchwegs hervorragenden Bilder scheint der kunstbegeisterte unbekannte Reisende, mutmasslich ein Zürcher, an Ort und Stelle erworben zu haben. In dieser Beilage zeigen wir eine Auswahl dieser in Griechenland aufgenommenen Bilder; zu einem späteren Zeitpunkt folgt eine Serie zum Thema Konstantinopel.
In der Zeit, als Athen wieder Hauptstadt des befreiten Griechenland geworden war (1834), hatte die etwas über 2000 Einwohner zählende Stadt äusserlich einen Umfang, der ziemlich genau jenem entsprach, den sie schon 2200 Jahre zuvor hatte. Erst damals begann - nach langer Stagnation während der nahezu 400 Jahre dauernden türkischen Fremdherrschaft - das Wachstum, das zur heutigen Explosion und Überschwemmung der attischen Ebene mit Häusern führte.
Unter den beiden griechisch-«deutschen» Königen Otto I. und Georgios I. entstand unter Schonung der Altstadt (Plaka) ein klassizistisches Stadtbild mit strahlenförmigen Hauptstrassen - nach dem Vorbild von Karlsruhe und München - mit Durchblicken zur Akropolis und zur Kapnikarea-Kirche (Abb. 9 und 10). In dieser klassizistischen Zeit, ja eigentlich noch vor einigen Jahrzehnten, beherrschte die Akropolis - von überall her sichtbar - die Stadt. Heute ist sie durch Hochhäuser, die in zunehmendem Masse die klassizistischen Wohnbauten ersetzen, fast ganz verdeckt und dringt dem Besucher beim Gang durch das lärmige «Paris des Ostens» kaum mehr ins Bewusstsein.
Von dem phantastischen Plan des preussischen Baumeisters Karl Friedrich Schinkel, die Akropolis in ein Königsschloss der Hellenen umzuwandeln, wurde glücklicherweise Abstand genommen. Die «Hochstadt» wurde statt dessen aus ihrem Schlaf geweckt und, vom Dornengestrüpp befreit, zum weithin sichtbaren Wahrzeichen des jungen griechischen Staates. Eckhart Peterich schreibt 1956 dazu: «Seit der Befreiung Griechenlands haben die Archäologen auf der Burg geherrscht, sie von allen fränkischen und türkischen Bauten befreit, sorgsam durchgraben, einzelnes wieder aufgebaut, zuletzt seit 1922 unter dem Baumeister Nikolaos Balanos die bei einer Explosion umgestürzten Säulen der Nordseite des Parthenon: ein Wiederaufbau, der nach dem Urteil vieler, die vor 1922 auf der Akropolis waren, durchaus gelungen ist und die Wirkung, die von diesem Bau ausgeht, ohne Zweifel noch gesteigert hat.»
Im folgenden sollen kurz die wichtigsten archäologischen Untersuchungen aufgezeigt werden, die vor und zur Zeit des Besuches unseres unbekannten Philhellenen auf der Akropolis und am Fusse des Burgberges gemacht worden sind:
Der als byzantinischer Bischofspalast ausgebaute Komplex blieb bis ins 13. Jahrhundert fast völlig erhalten. Im späten 14. Jahrhundert liess der Florentiner Nerio Acciajouli den Südflügel des Bauwerkes mit einem hohen viereckigen Turm krönen, welcher später fälschlicherweise «Frankenturm» genannt wurde (Abb. 5 und 8). Um die Mitte des 17. Jahrhunderts schlug ein Blitz in die dort befindliche türkische Pulverkammer; durch die Explosion wurden die Propyläen schwer beschädigt.
1835 bis 1836 wurde - als erstes Symbol des griechischen Wiederaufbaus - der Tempel der Athena-Nike aus den Trümmern einer türkischen Bastion wieder zusammengesetzt. 1853/54 fand der französische Politiker und Archäologe Charles Beulé unter türkischen Befestigungen die später nach ihm genannte westlichste Toranlage vor den Propyläen (Abb. 6). 1875 - aus dieser Zeit stammen die ältesten hier gezeigten Bilder (Abb. 5 und 8) - wurde dann auf Kosten des Ausgräbers Heinrich Schliemann der «Frankenturm» abgebrochen. Er bestand grossenteils aus Bausteinen der Propyläen, die dann, auf der Terrasse hinter der grossen Pelasgermauer ausgebreitet, für das Studium der Propyläen von Bedeutung geworden sind.
Bei der letzten grossen venezianisch-türkischen Auseinandersetzung fiel am 26. September 1687 eine venezianische Bombe in die zum Pulvermagazin gewordene Moschee und zerstörte den grössten Teil davon. Die gewaltige Explosionsbresche ist auf den Abbildungen 3 und 4 deutlich zu erkennen. Lord Elgin, welcher als britischer Diplomat und Kunstsammler 1803 bis 1812 in Griechenland weilte, kaufte mit Einwilligung des türkischen Sultans für den stattlichen Betrag von 36'000 Pfund Sterling plastischen Schmuck von Parthenon, Erechtheion und vom Tempel der Athena-Nike. Verständlicherweise werden die Verdienste des eifrigen englischen Lords - je nach dem Standpunkt des Befragten - recht verschieden beurteilt. Bei der Säuberung der Akropolis von späteren Anbauten und dem Perserschutt fanden die griechischen Archäologen 1885 - 1891 in den mit Erde sorgfältig bedeckten Felsmulden die einzigartigen Plastiken und Architekturfragmente der archaischen Zeit und andernorts noch zahlreiche Platten des Parthenonfrieses, «diejenigen», so schreibt Manolis Andronicos (1975), «die Lord Elgin nicht entdeckt hatte und die in der heimatlichen Erde verblieben waren». Vor diesen lange sich hinziehenden Arbeiten wurde 1864 der Grundstein des Akropolis-Museums gelegt, dessen Baufortgang aber sofort unterbrochen, weil man im Osten der Fundamentgruben auf die Reste eines antiken Gebäudes stiess. Im folgenden Jahr wurden die Arbeiten nach neuen Plänen fortgesetzt und 1874 vollendet.
Sein Inneres wurde anlässlich der Verwandlung in eine byzantinische Kirche im 7. Jahrhundert vollständig umgestaltet. In zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts richtete sich hier ein türkischer Befehlshaber seinen Harem ein. Lord Elgin liess die nördlichste Säule der Osthalle abbrechen und eine Kore aus dem südlichen Vorbau herauswuchten. Unter französischer Leitung wurde diese vielgerühmte «Korenhalle» wieder aufgebaut und jene fehlende Mädchengestalt durch eine armierte Terrakotta-Kopie ersetzt. Die vorliegenden Bilder zeigen deutlich, dass mit Ausnahme der ergänzten Korenhalle weder archäologische Untersuchungen noch Wiederherstellungsarbeiten an dem besonders verwüsteten Bauwerk durchgeführt worden sind. Die grosse Phase der Restaurierung begann erst im Jahre 1902.
Der auf den deutschen Ausgrabungen in Olympia geschulte Wilhelm Dörpfeld hat in den 80er Jahren archäologische Untersuchungen im Bühnenbereich des am südlichen Fusse der Akropolis gelegenen Theaters durchgeführt (Abb. 2). Bereits im Frühjahr 1881 soll dem Ausgräber Heinrich Schliemann die sachliche Klarheit und die methodische Sauberkeit des «mit preussischer Präzision» in Olympia vorgehenden Archäologen Dörpfeld aufgefallen sein. Besonders die neue Methode der Schicht- statt Tiefengrabung hat auf Schliemann einen starken Eindruck hinterlassen.
Dörpfeld wurde wenig später erster Sekretär des Deutschen Archäologischen Instituts und hat als dessen Leiter im «grossen Zeitalter» der Archäologie in Griechenland an fast allen Entdeckungen, besonders auch an denjenigen der Griechen, tatkräftig mitgewirkt. Grundtatsachen der klassischen Archäologie, wie der vorpersische Tempel der Akropolis, das Urparthenon, der ursprüngliche Plan der Propyläen und das attische Masssystem, gehen auf seine Entdeckungen zurück. Seine Forschungen über das griechische Theater sind denn auch von grundlegender Bedeutung.
Griechenland und besonders die Hauptstadt Athen wurden schon bald nach der Befreiung zum begehrten Reiseziel des gebildeten «Europäers». Die Stätten der «klassischen Altvordern» wurden gewissermassen zu einem grossen Hörsaal. So auch für unseren unbekannten Bildersammler, der uns aus der Zeit zwischen 1875 und 1885 eine Reihe einzigartiger Photographien überlassen hat. Ob diese Aufnahrnen das Ergebnis mehrerer Reisen oder eines einzigen längeren Aufenthaltes sind, lässt sich nicht sagen.
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Archaische Plastiken aus dem Perserschutt
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