Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)
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Quelle:
NZZ, VERMISCHTE MELDUNGEN Dienstag, 14.12.1999 Nr. 291 64
Seilziehen um das «Parkhaus Gottes» in Rom |
Archäologie und modernes Stadtleben im Widerstreit |
sdl. Rom, 13. Dezember |
Gut zwei Wochen bevor Papst Johannes Paul II. am 24. Dezember am Petersdom mit der feierlichen Öffnung der Heiligen Pforte den Beginn des «Giubileo» setzt, hat die italienische Regierung mit einem Machtwort einen Streit beendet, der sich seit Wochen hinzieht und der Fertigstellung eines Bauvorhabens im Wege steht, dem sowohl der Vatikan als auch die Verantwortlichen der Ewigen Stadt im Hinblick auf das Heilige Jahr grosse Bedeutung beimessen. Es geht um eine fünf Stockwerke tiefe Parkgarage im Gianicolo, einem der Hügel Roms. Die Einstellhalle selber, die mehr als hundert Touristenbussen Platz bietet, ebenso wie einer der beiden Zugänge sind zu Ende gebaut, doch an der andern Rampe sind die Arbeiten unterbrochen worden, nachdem im August beim Vortreiben des Tunnels Mauerreste mit Fresken aus römischer Zeit zum Vorschein gekommen sind. Ein Teil der archäologischen Fachwelt vermutete zunächst, dass es sich bei den Funden um Teile einer Villa handeln könnte, die Agrippina gehört hatte, der Mutter Neros. Andere Experten widersprachen dieser Ansicht. Uneinigkeit herrscht, wie hoch der wissenschaftliche Wert der Funde ist.
Die Regierung Ministerpräsident D'Alemas hat nun per Dekret angeordnet, dass die Arbeiten abzuschliessen seien. Der Zugang zu der Garage muss lediglich noch auf etwas über zehn Meter ausgehöhlt werden. Diesem Beschluss widersetzte sich Giovanna Melandri, die für die Pflege der Kulturgüter zuständige Ministerin im Kabinett. Sie wird unterstützt von Archäologen, den Grünen sowie anderen Kreisen aus der Szene des Altertums- und Umweltschutzes. Sie machen geltend, dass nur eine gründliche Untersuchung an Ort und Stelle genauen Aufschluss über den Ursprung der Funde zu geben vermöge. Laut einem Gesetz aus dem Jahre 1939 ist eine solche im Prinzip auch vorgeschrieben, doch mit ihrem Dekret hat die Regierung diese Bestimmung nun umgangen. Roms Bürgermeister, Francesco Rutelli, der im Nebenamt als ausserordentlicher Regierungskommissar für die Belange des «Giubileo» waltet, vertritt die Meinung, es wäre im höchsten Masse unverständlich, ein Werk unvollendet zu lassen, dessen Arbeiten zu über 90 Prozent abgeschlossen seien. Das Parkhaus ist Teil seines Planes, Pilger- und Touristenbussen während des Jubeljahres den Zugang zur Römer Innenstadt zu verwehren.
Laut Angaben aus dem Vatikan stiess man beim Aushub des Parkhauses selber auf keinerlei archäologische Funde, eine Aussage, die von Wissenschaftern allerdings in Zweifel gezogen wird. Sie weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass in der Gegend des Gianicolo im Laufe des 1. Jahrhunderts Christen hingerichtet worden seien. Im Gegensatz zu den Zugangsrampen, die auf italienischem Territorium liegen, gehört der Boden, auf dem das Parkhaus errichtet wurde, aber zum Gebiet des Vatikanstaates, wo Bestimmungen des italienischen Staates keine Gültigkeit haben. Aus diesem Grunde konnten der Bauplatz sowie der Aushub auch nicht der gleichen Prüfung unterzogen werden wie die Zugänge zum Parkhaus. Auch für den Vatikan, der einen Fünftel der sich auf 200 Milliarden Lire belaufenden Baukosten trägt, ist die Fertigstellung der Anlage wichtiger als allfällige archäologische Entdeckungen. Im obersten Stock des Gebäudes, das Kritiker mitunter abschätzig als «Parkhaus Gottes» bezeichnen, wird der Vatikan ein «Duty-free-Geschäft» betreiben. Bei dieser Auseinandersetzung geht es im Kern einmal mehr um die Frage, wie in einer Stadt, wo praktisch jeder Quadratmeter Boden Reste aus Antike und Geschichte birgt, die Erfordernisse des modernen Stadtlebens mit den Ansprüchen von Archäologie und Geschichtsschreibung vereinbart werden sollen.
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