Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)
Klassische Sprachen |
Quelle:
NZZ LITERATUR UND KUNST Samstag, 11.12.1999 Nr. 289 77
Zahlen, Zählen, Harmonie |
Kleines symbolisches
Einmaleins
Von Wilhelm
Schmidt-Biggemann
Die Symbolik der Zahlen ist uns fremd geworden; Zahlensymbolik gehört zum Aberglauben. Nur: Warum werden bei Wettbewerben die ersten drei prämiert? Warum gibt es ausgerechnet sieben Raben und sieben Zwerge? Warum fängt der Karneval am 11. 11. an, und warum wird er von einem Elferrat verwaltet? Warum fehlt in Fahrstühlen und bei Hotelzimmern die Nummer 13? Aufklärung tut bekanntlich not, deshalb auch hier einige Aufklärung über das, was aufgeklärten Zeitgenossen mit guten Gründen als sinnlose Düsternis und überflüssige Spekulation erscheinen wird.
Die Voraussetzung jeder Zahlensymbolik ist einfach: Zahlen sind nicht zuerst zum Rechnen da. Wer mit Zahlen nur rechnet, verpasst vielleicht das Wichtigste, nämlich die Frage danach, was Zahlen überhaupt sind und was jede Zahl für sich bedeutet. Das ist nur auf den ersten, sozusagen den reinen Rechenblick eine verquere Frage. Denkt man nur an die Folge der natürlichen Zahlen, so ergeben sich die merkwürdigsten Einsichten; eine ist: Jede Zahl ist durch ihre Position in einer Folge definiert.
Auf eine merkwürdige Weise ist «Er-zählen» mit dem Zählen verbunden. Der Vorgang des Erzählens geschieht Schritt für Schritt; und wenn die Erzählung in sich stimmig ist, dann ergibt sich eines aus dem andern. Stimmigkeit bedeutet, dass eines mit einem anderen zusammenpasst; Stimmigkeit ist Harmonie. So erzeugt sich im Vorgang des Zählens ebenso wie in dem des Er-zählens eine Ordnung, die aus der Folge entsteht; und diese Harmonie hängt mit den Zahlen zusammen, die als Ordnung der Folge erscheinen.
Die Zahlen haben eine frappante Analogie mit den Tönen: Auch die Töne sind durch eine Folge definiert, auch die Tonfolge ist kontinuierlich. Tonfolgen erzeugen Intervalle, die mit Zahlenverhältnissen gedeutet werden. Intervalle sind die Ordnung der Töne; Intervalle, die zu einer Zeit erklingen, erzeugen Harmonien oder Missklänge. Harmonie ist Einheit in der Vielheit, ein logisch paradoxes Etwas, weil es logische Gegensätze verbindet; denn eigentlich kann eines nicht zugleich vieles sein. In der Musik zeigt sich aber, dass die Einheit des Verschiedenen, dass Ordnung und Harmonie, die durch Zählen entsteht, hörbar ist. Wegen dieser merkwürdigen Zahlhaftigkeit der Harmonie hat Leibniz behauptet, Musik sei unbewusstes Zählen.
Liegt dieses Erzeugen des anderen aus dem einen, das sich im Vorgang des Zählens und des Erzählens andeutet, eigentlich im Wesen der Zahlen begründet? Wickeln sie sich gleichermassen eine aus der anderen heraus?
EINS UND ZWEI
Das Problem beginnt mit der Eins. Von den griechischen Vorsokratikern an hat man sich mit der Frage herumgeschlagen, was eigentlich Einheit sei und was «eins» denn heissen könne. Die Merkwürdigkeit besteht darin, dass die Begriffe «eins» und «alles» sowie «alles» und «nichts» aufs vertrackteste miteinander verknäuelt sind. Wenn alles eines und dasselbe ist, dann ist schliesslich nichts mehr etwas Besonderes. Der Grund für diese Komplikation liegt in der Bedeutung der Eins. Diese Dialektik lässt sich leicht darstellen und begrifflich schwer beherrschen, wie der neuplatonische Philosoph Plotin erkannt hat.
Definieren heisst abgrenzen. Wenn man abgrenzt, dann entstehen die eine und die andere Seite der Grenze, dann entsteht also die Zwei. Etwas, was nicht begrenzt ist, ist gar nicht erkennbar; wie sollte man etwas erkennen, wenn nicht wenigstens ein Unterschied existiert zwischen dem, der erkennt, und dem, was erkannt wird? Aus dieser Notwendigkeit, dass alles, was erkennbar ist, nur wegen seiner Begrenzung erkennbar ist, ergibt sich die merkwürdige Tatsache, dass die Zahl Eins, wenn sie denn als definierte Zahl erscheint, sich immer schon als unterschieden darstellt. Das einfache Paradox besteht darin: Die Eins erscheint schlechterdings nur in Gemeinschaft mit der Zwei.
Gedankengänge wie diese sind der Gipfel der Spekulation. Das sollte man durchaus doppeldeutig verstehen. Evidenterweise handelt es sich um Verstiegenheiten in dialektische Paradoxa. Aber die Philosophen, sofern sie Symboliker sind, wären nicht vom Fach, hätten sie daraus nicht ein Argument gemacht: Spekulation - Spiegelung - bedeutet nämlich, dass das Erste schlechterdings nur im Zweiten erkennbar ist; und dass es sich bei solchen Gedankengängen um Zusammenhänge handelt, die überhaupt nur im Spiegel der Verdopplung, eben spekulativ zugänglich sind.
Es ist schwer, bei diesen Spekulationen theologische und philosophische Muster auseinanderzuhalten. Wenn der absolute Anfang, also die Eins, theologisch interpretiert wird, dann sind alle folgenden Zahlenmuster als Entfaltung des göttlich ersten Grundes interpretiert; und als diese Entfaltung haben jüdische wie christliche Zahlenspekulanten, Kirchenväter und Kabbalisten, die Zahlenordnung der göttlichen Selbstexplikation gefasst.
DREI
Für die spekulative christliche Theologie war von ihrem Beginn an deutlich, dass der Vater - in der Analogie zur Eins - der unerkennbare erste Grund war, der sich nur im Sohn - analog zur Zwei - selbst erkannte. Aber warum erkannte er sich in dem, was er erzeugt hatte? Weil das andere auch dasselbe war. Etwas schlechthin anderes als es selbst konnte das unerkennbar Eine nicht hervorbringen: Es war sonst nicht möglich zu sagen, es sei der Grund der Hervorbringung gewesen. Also muss sich in diesem Erzeugungsprozess etwas einstellen, das sich als die Einheit des Hervorbringenden und des Hervorgebrachten erwies. In diesem Dritten stimmen das Erste und das Zweite überein. In der Gemeinsamkeit des Dritten erscheint Stimmigkeit und Harmonie: Denn hier geht es um den evidenten und gleichermassen paradoxen, eben dialektischen Sachverhalt, dass etwas zugleich dasselbe und doch verschieden ist.
Das Moment der Wiedervereinigung des Geschiedenen ist von den christlichen Theologen Heiliger Geist und innergöttliches Leben genannt worden; und in der Tat lässt sich - wenn schon genetisch, in einer Philosophie des Entstehens, argumentiert wird - das Lebendige gar nicht anders denken als die ständige Veränderung, die sich doch gleich bleibt. Jedes Lebewesen muss ständig wachsen; es muss an und in ihm kontinuierlich etwas Neues entstehen, sonst stirbt es; es bleibt also allein lebendig dasselbe, wenn es sich zugleich ständig ändert. Mit der Drei als Analogie des Lebens bleibt das Leben ständig bei sich.
VIER
Die Vier ist die Zahl der ersten Offenbarung. Das lässt sich leicht aus der Symbolik der Drei erkennen. Die lebendige Einheit, die sich selbst ständig erneuert, bleibt bei sich. Sie braucht nicht über sich hinauszugehen, wenn sie sowohl identisch als auch lebendig sein will. Mit der Vier geht so etwas wie ein Ruck durch die selbstgefällige Harmonie der Drei. Die Vier wiederholt den ursprünglichen Trennungsakt der Zwei; dieser Sachverhalt ist symbolisch präsent darin, dass die Summe und das Produkt von zwei und zwei = vier ist.
Vierklänge haben musikalisch einen Riss in sich. Das lässt sich analog in Termini der christlichen Theologie so ausdrücken: Die göttliche Trinität geht über sich hinaus und denkt zum erstenmal etwas anderes als sich. Jetzt entsteht die Dialektik von innen und aussen: Indem Gott sich selbst nach aussen offenbart, verbirgt er sein innergöttliches Leben in sich. Gott offenbart sich in seiner Wendung nach aussen, und er verbirgt sich in dieser Wendung in seiner Innerlichkeit; er wird zum verborgenen Gott.
Diese Wendung Gottes nach aussen ist schon in alttestamentarischer Zeit als Offenbarung der göttlichen Weisheit gedacht worden, mit und in der Gott seine Schöpfung konzipierte. In Mittelalter und Renaissance haben sich die jüdische und die christliche Kabbala als Hermeneutik dieser offenbaren Weisheit Gottes begriffen. Die jüdischen Kabbalisten deuteten den unaussprechlichen Namen Gottes - JHWH - als symbolische Erkenntnis eines inneren, verborgenen Lebens Gottes, das geheimnisvoll nach aussen sichtbar wird. Die vier heiligen Buchstaben wurden hier als Symbol der Gottesgeburt interpretiert: Der unerkennbare Anfang, das J (Jota), hat sich in einem weiblichen Moment, dem H (He), selbst erkannt; diese Urverbindung bringt, symbolisiert durch das W (Waw), die Thora in der Symbolik des göttlichen Namens hervor. Diese Ur-Thora in Gott erzeugt nun ihrerseits die göttliche Idee H (He) der Welt. Das ist die göttliche Schechina - die Weisheit -, die den göttlichen Plan der Welt und die Kraft zu seiner Verwirklichung enthält.
Mit der Vier ist das pythagoräische Schema, das alle Zahlenordnung und zugleich die theologische Spekulation trägt, in seinen Elementen erschlossen. Denn die Zahlen von eins bis vier bilden die «Tetraktys», die ständig über sich hinausweisende lebendige Einheit, deren Summe die Zehn, die Einheit der Dezimalzahlen, ergibt. Die Zahlen von eins bis vier bedeuten deshalb Ursprung und Selbstfindung, Leben und ständige Fruchtbarkeit. In ihrer Summe, der Zehn, symbolisieren sie die Einheit des Universums.
FÜNF
Mit der Vier und ihrem Verweis auf die Zehn wird der Bereich einer qualitativen Zahlenlehre, die allein auf der Bedeutung der Zahlen als solchen beruhte, verlassen. Die Zahlensymbolik ist jetzt auf Analogien aus der Natur oder der biblischen Offenbarung angewiesen. Dieser Bruch in der symbolischen Reihe zeigt sich besonders an der Fünf; später wird er sich an der Acht wiederholen. Gegenüber der Vier ist die Fünf eine symbolisch eher arme Zahl; das zeigt sich nicht nur im fünften Rad am Wagen, in der leeren Quinte und in der fünften Kolonne. Die Fünf ist gegenüber der Vier sozusagen eines zuviel; und auch gegenüber der durch die Offenbarung geheiligten Sechs ist sie defizitär.
Obwohl es fünf Bücher Mosis gibt, ist die Fünf doppeldeutig: Im Pentagramm, dem «Drudenfuss», symbolisiert sie den bösen Zauber. Die Fünf ist die Zahl der Sinnlichkeit, sie ist im menschlichen Körper symbolisch repräsentiert: Jede Hand hat fünf Finger und jeder Fuss fünf Zehen. Und doch fehlt der Sinnlichkeit der Fünf etwas: Die Existenz eines zwar nicht mitgezählten, aber ständig präsenten sechsten Sinns belegt erneut die symbolische Minderwertigkeit der Fünf. Die fünf sinnlichen Wahrnehmungsformen sind so etwas wie eine Zwischenstufe zwischen der äusseren Welt und der geistigen Welt göttlicher Gedanken; und in dieser Weise sind das Tasten, das Riechen, das Schmecken, das Hören und das Sehen auch aufgefasst worden, als verminderte Wahrnehmung einer Harmonie, die sich nur einer «höheren» Sinnlichkeit, dem «geistigen» Auge, erschliesst.
SECHS
Die Sechs ist die Zahl der äusseren Offenbarung und ihrer Geschichte. Die Zahlen von eins bis vier sind ewige Hervorbringungen und Momente einer inneren geistigen Bewegung. Mit der Sechs kommt die Zeit in die Welt. In sechs Tagen schuf Gott die Welt; und wenn vor Gott tausend Jahre wie ein Tag sind, dann symbolisieren die Schöpfungstage die sechs Jahrtausende, die die Welt bestehen wird. Die Behauptung, die Welt werde nur sechstausend Jahre bestehen, findet sich zuerst in einem rabbinischen Midrasch; trotz wiederholter Warnungen vor Weltzeitberechnungen haben vor allem christliche Geschichtstheologen diese «Prophezeiung Eliae» ernst genommen und für apokalyptische Kalküle benutzt. Die Endzeit-Hysterie zur Jahrtausendwende geht auf diese Prophetie zurück.
Die Zeit in der Welt ist nicht die Geschichte der Welt. Die natürliche Zeit hält die Dinge in der Welt am Leben, das ist die Naturzeit von Werden und Vergehen. Die Vorstellung, dass die Welt geschaffen ist, gibt ihr nur einen zeitlichen Anfang, aber noch keine geschichtliche Struktur. Ihre Geschichtszeit bekommt die Welt erst mit der Vorstellung, dass sie ein Ende habe und dass die Zeit auf dieses Ende hindränge. Dieses Ende ist durch die Apokalypse bestimmt, durch die Ankunft und das Gericht Gottes. In dieser Struktur der theologischen Geschichtszeit stimmen die grossen monotheistischen Religionen überein. Wie aber kommt der Drang zum Ende, der merkwürdige Sog der Apokalypse zustande? Was gibt der Geschichtszeit eine Qualität, die zur Aufhebung der vorhandenen Welt und zum Ende der Geschichte führen soll? Der Grund für die Apokalypse ist die geheimnisvolle Anwesenheit des Bösen in der gottgeschaffenen Welt, das am Ende der Welt überwunden werden wird. Diese Erwartung treibt die Geschichtszeit ihrem Ende zu.
Diese Geschichtszeit, die zur Apokalypse drängt, ist dem Judentum, dem Christentum und dem Islam gemeinsam. Den Juden haben die Propheten ihren kommenden, strafenden und verherrlichenden Messias geweissagt; die Christen haben den Vorgeschmack der wiederkommenden Herrlichkeit in ihrem Erlöser schon verspürt; die Muslime besitzen die Einmaligkeit ihres Propheten, der die kommende Herrlichkeit den Gläubigen verkündet. Nach der Analogie der Schöpfungstage dauert die Arbeit an der erlösenden Vollendung der Welt 6000 Jahre.
Die christliche Weltgeschichtsrechnung hat diese Spanne eingeteilt: Man hat - die vier Adventssonntage erinnern noch daran - 4000 Jahre bis zur Geburt Christi gezählt und für den Rest der Zeit 2000 Jahre übriggelassen; apokalyptische Aktivisten haben die Geschichtszeit mit der Dreifaltigkeit berechnet: Auf das Zeitalter des Vaters (das Alte Testament) folge das des Sohnes (das Neue Testament). Ein drittes, ein Endzeitalter des Heiligen Geistes, haben geistliche und weltliche Revolutionäre in einem 1000jährigen Reich erhofft, das in der Geheimen Offenbarung des Neuen Testaments verkündet worden sei. Ob dieses Reich aber noch zur Weltzeit der 6000 Jahre gehörte oder ob es schon den Sabbat der Welt meinte, blieb unentschieden.
SIEBEN
Am siebten Tage ruhte Gott; das ist der Grund, weshalb die Sieben heilig ist. Die sieben Tage der Woche, die sieben Sakramente im katholischen Ritus, die sieben Gaben des Heiligen Geistes, noch die Siebensachen im «Struwwelpeter», bei denen die Kinder brav sein sollen, zehren von der Heiligkeit der Sieben. Die Sieben hat für ihre Heiligkeit in der antiken und mittelalterlichen Kosmologie einen Analogiebeweis, der auf die regelmässige Wiederkehr des Wochenzyklus symbolisch hinwies. Es gab sieben Planeten, deren Sphären das Verhältnis der sieben Töne der Tonleiter repräsentierten: Sonne, Mond, Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn. In der Sieben korrespondierten Makrokosmos und Mikrokosmos. Sieben irdische Metalle entsprachen den sieben Metallen der Planeten: Gold, Silber, Quecksilber, Zinn, Eisen, Kupfer, Blei. Auch der menschliche Körper war als Mikrokosmos nach einem Siebenermuster bestimmt: Kopf, Herz, Arme, Leber, Geschlecht, Schenkel, Füsse.
So bestimmte die Sieben die Ordnung der Natur, wie sie sein sollte. Sie war die Zahl der Natur vor dem Sündenfall, die Zahl der Idealnatur. Sie symbolisierte eine ursprüngliche Ordnung, die am Ende, am Sabbat der Zeit, wieder erreicht werden sollte. In der Sieben trafen sich idealer Kosmos und ewige Vollendung.
ACHT
Ähnlich wie die Fünf ist die Acht symbolisch eher arm. Es gibt allerdings einen Versuch, die Acht als das Symbol der unerkennbaren Ewigkeit und der göttlichen Unveränderlichkeit zu deuten. Für diese Interpretation muss der Sabbat der Welt als siebtes Jahrtausend, als das 1000jährige Reich der Gerechten interpretiert werden. Wenn diese Zeit vergangen ist, nimmt die Ewigkeit Gottes alles in sich auf. Dann bekommt die Acht ihren symbolischen Sinn: Wie die Zeit vor der Schöpfung aus dem Nichts eine Ewigkeit war, die durch die Null symbolisiert wurde, so wird die Zeit nach dem 1000jährigen Sabbat, die Zeit der göttlichen Herrlichkeit, eine Zeit ewiger Vollendung sein: und das ist der Sinn der liegenden Acht als des Symbols der Unendlichkeit. Dem entspricht die besondere Bedeutung der Oktave: Mit der Oktave kehrt die Tonleiter zu ihrem Beginn zurück.
NEUN
Die Neun ist in ihrer Symbolik ganz von der Drei abhängig; ihre Hauptbedeutung ist, dass sie die Macht der göttlichen Zahl als mathematische Potenz von drei zeigt. Deshalb gibt es nach der wichtigsten mittelalterlichen Zählung neun «Chöre» der Engel, die den göttlichen Glanz symbolisieren: Throne, Mächte, Kräfte, Herrschaften, Gewalten, Cherubim, Seraphim, Erzengel und Engel.
ZEHN
Zehn ist die Zahl, die potentiell alles umfasst. Zehn Finger und Zehen symbolisieren körperlich die Bedeutung der Zehn. Spirituell ist die Zehn in den göttlichen Prädikaten, die die jüdische Kabbala gefunden hat, geheiligt: Krone, Weisheit, Intelligenz, Liebe, Macht, Barmherzigkeit, Dauer, Majestät, Grund, Reich. Mit den zehn Sephiroth wurde Gottes Wesen symbolisch zugänglich und die Welt in ihrer geschaffenen Grundstruktur erkennbar. Vor allem ist die Zehn eine pythagoräische Zahl, sie repräsentiert das Ende und damit die Einheit aller einstelligen Zahlen. Sie ist aus der Summe der ersten vier Zahlen, der Tetraktys, gebildet; und sie gilt den Pythagoräern und allen, die dem Dezimalsystem gefolgt sind, als die konstitutive Zahl der natürlichen Zahlenordnung.
Mit der Zehn wurde auch die Bedeutung der Ziffer evident: In Europa ist die Zehn erst seit dem späten Mittelalter arabisch, also als 1 und 0 geschrieben worden. Die geniale Erfindung der Null bestand darin, dass sie nicht nur das Nichts «vor» dem Etwas beschrieb, sondern auch das Ende, das mit dem Anfang übereinstimmte. Die Null ist deshalb die Zahl der Ordnung, die nach dem Ende einer Gruppe eine Grenze setzt und diese Grenze als «Nicht mehr», eben als 0 kennzeichnet. Als 1 und 0 symbolisiert die Zehn die beiden ersten Elemente aller Metaphysik, nämlich Sein (1) und Nichts (0).
Leibniz hat zuerst festgestellt, dass man mit den beiden Elementen der Ziffer 10, mit 1 und 0, prinzipiell jede Zahl schreiben könne. Das wird heute als die mathematische Grundlegung der Computerrechnung gedeutet. Er selbst hat seine Entdeckung ganz theologisch interpretiert und festgestellt, dass das Verhältnis von Nichts und Eins, das in den Ziffern der 10 enthalten sei, die Schöpfungs-Potenz Gottes symbolisiere, aus dem Nichts die Welt zu schaffen. Diese Potenz hat alle Interpreten der Zehn fasziniert, denn nach Zehnerpotenzen ist die gesamte Zahlenwelt geordnet. Diese Tatsache, dass die Potenz der 10 die Zahlen beherrschen konnte, bestimmt die symbolische Macht der «runden» Zahlen noch immer.
Der biblische Satz, dass vor Gott 1000 Jahre wie ein Tag seien, zeigt die Unwiderstehlichkeit des Zehnersystems schon für die ersten Theologen; und dass in der apokalyptischen Aufregung um das Jahr 2000 theologische Symbole und Zahlenmagie zusammenkommen, macht noch lange nach aller Aufklärung deutlich, dass es mit der Entzauberung der Zeit nicht weit her ist.
Wer wollte aber ausschliessen, dass wir uns mit alledem nur ein X für ein U vormachen.
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