Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)

 

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Latein, Griechisch
KZU


Text-Quelle:

NZZ, Ausgabe vom 19. Januar 1999

 

Plädoyer für Allgemeinbildung und Latein

Erste Tagung der Zürcher Mediävisten an der Uni Zürich

 

pi. An beiden Zürcher Hochschulen, der Universität und der ETH, gibt es knapp 40 wissenschaftliche Mitarbeiter, die sich ausschliesslich mit dem Mittelalter beschäftigen. Mediävisten haben in 5 der 7 Universitätsfakultäten Lehraufträge, doch ist bis anhin noch nie eine gemeinsame Tagung zustande gekommen. Am Samstag ist dieser seit Jahren gehegte Wunsch endlich in Erfüllung gegangen. Die Projektstelle Mittelalter des Historischen Seminars der Universität Zürich hat eine erste Veranstaltung mit dem Titel «Zürcher Mediävistik» organisiert, deren Ziel der gegenseitige fachliche Austausch war - eine Möglichkeit, die von den zahlreich erschienenen Mediävisten und Interessenten rege genutzt wurde.

 

Modeerscheinung Mittelalter

Den Auftakt der Tagung bildete ein Referat von Professor Michel Zink vom Pariser Collège de France, der über die «situation de la médiévistique au tournant du millénaire» sinnierte. Er analysierte zunächst den Mittelalter-Boom, der sich in den vielen Filmen, Büchern, Kunstbänden, Fernsehsendungen und Spielen spiegle. Der Erfolg sei gewiss da, und die Wissenschaft profitiere letztlich in finanzieller Hinsicht davon; doch sei er sehr fragil, betonte Zink mehrmals mit Nachdruck. Der Mediävist stellte gerade bei den Studierenden zwei grosse Bildungsdefizite fest: einerseits das wachsende Desinteresse an der lateinischen Sprache, was nach Ansicht von Zink eine Katastrophe sei und den allmählichen Tod der mittelalterlichen Forschung bedeute; anderseits fehle beim akademischen Nachwuchs die Allgemeinbildung. Die Neugierde der Studierenden sei zwar da, doch existiere kein kulturelles Verständnis mehr, um das Mittelalter und seine Fachrichtungen auch nur einigermassen einzuordnen.

Zink dachte weiter über das Selbstverständnis der Mediävisten nach und stellte die Frage, warum Mittelalterforschung überhaupt betrieben werde, welchen Nutzen die Gesellschaft daraus ziehe. Im 18. und 19. Jahrhundert diente sie primär dazu, die ideologischen Grundlagen für das Selbstbewusstsein der Nationalstaaten zu liefern. Es ging darum, eine Identität auf der nationalen Vergangenheit zu konstruieren. Dieser ideologische Ansatz hat laut Zink an Bedeutung verloren; ebenso der positivistische Ansatz, wonach alles, was aus der Vergangenheit gelernt werden könne, der Gesellschaft diene. Etwas pointiert und provokativ erläuterte Zink, dass viele europäische Forschungsprojekte einzig einen Bezug zu Europa, zur gemeinsamen kulturellen Verwurzelung herstellten, um Gelder aus Brüssel zu erhalten. Warum dennoch Mittelalterforschung betreiben? Für Zink liegt eine ihrer Hauptaufgaben in der kulturellen Bereicherung, aber auch in der gegenseitigen Verständigung der Völker, Mentalitäten und Kulturen. Dies sei um so wichtiger, als immer mehr soziale und politische Ereignisse mit der Vergangenheit, namentlich mit dem Mittelalter, erklärt würden; die Resultate seien oft zu simpel, ideologisch geprägt und bedeuteten letztlich eine Gefahr in den Beziehungen unter den Völkern.

 

Gemeinsame Plattform

Der Samstagnachmittag stand im Zeichen der Pluridisziplinarität. Vorgestellt wurden zwei Projekte, in denen die Grenzen des eigenen Fachgebietes überschritten werden. Beim Zürcher Paracelsus-Projekt unter der Leitung von Urs Leo Gantenbein sind Theologen, Medizinhistoriker, Germanisten und Reformationshistoriker beteiligt. Die Resultate des Vorhabens, die aus lexikographischen und editorischen Teilprojekten bestehen, vor allem aus der Edition der noch ausstehenden Paracelsus-Theologika, die ein Viertel seines Gesamtwerks ausmachen, können als «work in progress» im Internet abgerufen werden (http://www.mhiz.unizh.ch/Paracelsus.html). In Regula Schmids Projekt «Geschichte sichtbar machen» untersucht die Mediävistin, wie die Vergangenheit in den sechs Städten Strassburg, Basel, Zürich, Luzern, Bern und Freiburg zwischen dem 14. und dem 16. Jahrhundert in Schrift und Bild dargestellt wurde und welche Rolle sie in der spätmittelalterlichen städtischen Gesellschaft spielte. - Die Diskussionen verdeutlichten, dass die Bestrebungen der Zürcher Mediävisten, die laufenden Projekte und Lehrveranstaltungen aller Fachrichtungen kommentiert zu publizieren und den wissenschaftlichen Informationsaustausch (Tagungen, Internet) zu intensivieren, auf fruchtbaren Boden fielen.

 

Bild

Staatsbibliothek München
Handschrift der Carmina Burana
Das Rad der Fortuna
1230 n. Chr.
(177KB)

  

 


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