Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)

 

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KZU


Quelle:

NZZ, Ausgabe vom 30. Juni 1999, Feuilleton, (Nr. 148  61)

 

 

Menschenwürdiges Haus

Die Domus Aurea in Rom wiedereröffnet

Der Ausdruck «Groteske» bezeichnet bekanntlich die dekorative Verbindung von Architektur-, Pflanzen- und Tiermotiven zu einem metamorphorisierenden Ganzen. Darüber hinaus umfasst der Begriff in nuce einen wesentlichen Teil der Geschichte des Goldenen Hauses von Kaiser Nero. Denn der immense Bau, gegen 64 n. Chr. begonnen, blieb bei dessen Tod 68 n. Chr. unvollendet und wurde von seinem Nachfolger Trajan zugeschüttet, um als Fundament der darüber errichteten Trajansthermen zu dienen. Erst ab 1480 entdeckte man nach und nach die Räume und deren Ausmalung wieder. Weil man um den genauen Hergang damals nicht wusste, hielt man sie für unterirdisch angelegte Gemächer, italienisch: Grotti. Ihre Bemalung, die die geschilderten Motive vereinte, wurde folglich Grottenmalerei (italienisch: Grottesche) genannt. Ihre neuerliche Beliebtheit verdanken die Grotesken übrigens dem Umstand, dass sofort nach Entdeckung der Malereien alles, was in Rom Rang und Namen hatte, herbeieilte. Bekannte Besucher waren Ghirlandaio, Pinturicchio, Raffael und Giovanni da Udine. Erstmals taucht die Dekorationsform in den frühen Fresken der Cappella Sistina auf, aber für deren Verbreitung sorgte v. a. die Raffael- Schule.

 

Problematische Statik

Die topographische Situation der Domus Aurea hat dazu geführt, dass sie zu Beginn der achtziger Jahre für das Publikum gesperrt werden musste. Aussalzungen, eindringendes Regenwasser und Wurzeln hatten namentlich die Fresken schwer beschädigt. Auch heute noch, nach Abschluss der Arbeiten, bleibt die Lage prekär. Denn durch die Ausgrabungen ist die Stabilität des Baus beeinträchtigt, zumal sich nach wie vor darüber der Park des Colle Oppio mit seinem alten Baumbestand und den Resten der Thermen erstreckt. Die Sopraintendenza Roms plant langfristig, das ganze Gebiet abzugraben und die durch eine Strasse zerschnittenen Thermen wieder als Einheit kenntlich zu machen.

Auch unter der Erde wartet noch ausreichend Arbeit. Denn derzeit sind bloss 32 von 150 bekannten Räumen dem Besucher zugänglich. Weitere 15 Räume warten überhaupt noch darauf, ausgegraben zu werden. Die gesamte Fläche des Baus beträgt etwa 10 000 Quadratmeter. Von den 30 000 Quadratmetern bemalter Wände in seinen durchschnittlich 10 Meter hohen Räumen sind eben 1200 Quadratmeter restauriert; 55 Restauratoren sind ständig mit der Weiterarbeit beschäftigt. Der riesige Komplex war ein Bestandteil der ausgedehnten kaiserlichen Palastanlagen, die sich über Palatin, Esquilin und Monte Celio auf einer Fläche von insgesamt etwa 80 Hektaren erstreckten. In ihrer Mitte lag jener künstliche See Neros, an dessen Stelle sich heute das Kolosseum erhebt. Die Domus Aurea mit ihrer fast 400 Meter langen Front auf den See hin scheint in diesem Gefüge eine Art überdimensionaler Gartenpavillon gewesen zu sein, der dem kultivierten Beisammensein und dem intellektuellen Austausch diente. Jedenfalls sind bis heute keine Räume aufgetaucht, die an eine ständige Bewohnung denken liessen. Beschreibung von Tacitus, Sueton und Plinius schildern den ausserordentlichen Luxus, den herrlichen Ausblick des Hauses auf den neroischen See sowie dessen Einbettung in Felder, Wiesen und Weiden mit vielerlei Getier.

 

Neuer Rundgang

Der neu erschlossene Rundgang durch die erwähnten 32 Gemächer führt durch einige Vorsäle und am langen, bemalten Kryptoportikus vorbei hin zu jener oktogonalen Aula, in deren Innenrund sich einstmals eine drehbare Plattform befand. Hier soll Nero selbst zur Leier gegriffen haben, während das Publikum sich in den seitlichen Ausbuchtungen kulinarischen Genüssen hingeben konnte. Ein angegliedertes Nymphäum sorgte mit durchlaufendem Wasser für angenehme Kühle. Im Oktogon haben sich allerdings keine Fresken erhalten. Demgegenüber zeigen die Achilles- und Hektor-und-Andromache-Säle szenische Darstellungen, denen die Restauration überraschende Frische und Klarheit zurückgegeben hat. Eingefügt in das beschriebene Dekorationssystem aus Architekturelementen, Blumen- und Tiermotiven, stehen sie für jenen vierten pompejanischen Stil, dessen Vergleichsbeispiele in Pompei eine Periode kurz vor dem Untergang der Stadt markieren. Der Maler namens Fabullus ist bei Plinius überliefert.

Inhaltlich wird in der Malerei auf die Ilias und damit letztlich auf den Mythos von Rom als dem neuen, auf der Asche des alten erstandenen Troja angespielt und beiläufig daran erinnert, dass die Errichtung der Domus Aurea erst durch den Brand von Rom möglich wurde. Der häufig dargestellte Gott Dionysos ruft allerdings das Thema von Wiedergeburt in Erinnerung, das seinerseits in einem unmittelbaren Zusammenhang zum Sonnenkult stand. Er wiederum fügt sich in die von Nero nachdrücklich betriebene Selbststilisierung als Sonnengott ein, der übrigens die gesamte Innenausstattung dienstbar gemacht wurde. Denn Böden und Wände waren mit spiegelndem Marmor verkleidet und ganze Raumteile vergoldet. Wasser durchfloss verschiedene Gemächer und wurde in grossen Becken unter freiem Himmel gesammelt. Die Verbindung von Aussen- und Innenraum war durch Öffnungen und Peristyle derart geschickt gelöst, dass das hereinfallende Sonnenlicht auf all diesen spiegelnden Flächen vielfach reflektiert wurde. Dadurch entstand laut Plinius der Eindruck, das Licht komme nicht von aussen, sondern es sei in den Sälen bereits eingeschlossen.

Eine Ahnung von dieser Pracht stellt sich am ehesten in der erwähnten Aula mit ihrer grossen Oberlichtöffnung ein. Sie legt auch am besten vom Können der beiden Architekten Severus und Celerus Zeugnis ab, die den Akzent völlig auf die Innenraumwirkung setzten, während der Palast von aussen kaum gegliedert war und mit seinem Bleidach wie ein Meer in der Sonne glänzte (Sueton). Vielleicht entsprach sogar das der Intention Neros, dem die gesamte Palastanlage sehr gefiel: endlich - meinte er - sei ein Haus entstanden, das zu bewohnen eines Menschen würdig sei.

Axel Christoph Gampp

Die Domus Aurea ist täglich von 9 bis 22 Uhr zu besichtigen. Der Eintritt kostet 10 000 Lire. Vorbestellungen können unter der Nr. (0039) 06/39 74 99 07 getätigt werden. Zur Eröffnung sind zwei Publikationen erschienen: ein Kurzführer «Domus Aurea» von Elisabetta Segala und Ida Sciortino für 18 000 Lire (ISBN 88-435-7163-X) und eine etwas detaillierte Dokumentation von Irene Iacopi für 60 000 Lire (ISBN 88-435-7174-5), beide bei Electa Milano.

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Gewölbe in der Domus Aurea
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Wandmalerei in der Domus Aurea
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