Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)
Klassische Sprachen |
Quelle:
Neue Zürcher Zeitung BRIEFE AN DIE NZZ Dienstag, 15.12.1998 Nr. 291 67
Woher kommt die
Karriere?
Die Argumentation mit der Etymologie und der Geschichte eines Wortes ist im Alltag sehr beliebt. «Woher kommt dieses Wort?» «Was hiess es ursprünglich?» So sind uns auch in der Karriere-Beilage (NZZ 10. 11. 98) etymologische Erklärungen, eben des Wortes «Karriere», geboten worden, und zwar drei sehr verschiedene: Lothar E. Kaiser führt «Karriere» auf lateinisch «carraria» (Fahrweg) und «carrus» (Karre) zurück und sieht in diesem Ursprung den Grund dafür, dass man sich beim Karrieremachen vor einen Karren spannen lässt bzw. einen zieht. Nach Egon P. S. Zehnder dagegen hat sich wegen der unvermeidlichen Präsenz von Schweiss, Fleiss, Energie und Tränen beim Karrieremachen aus dem ursprünglichen französischen Wort «garrière» (d. h. schnellste Gangart des Pferdes) «carrière» mit seinem harten Anfangslaut herausgebildet; seiner Herkunft gemäss bedeutet «Karriere» deshalb «auf dem schnellsten Weg ans Ziel kommen». Und laut Pater Albert Ziegler muss, wer Karriere machen will, ein Ross oder besser ein Rennpferd sein, denn das italienische «carriera» bedeutet «Rennbahn» und «Galopp» und entsprechend unsere Karriere «der (schnelle) erfolgreiche Aufstieg». Welche Erklärung sollen wir nun glauben?
Mein Lehrer Ernst Risch pflegte da jeweils das Bonmot seines Lehrers Manu Leumann anzuführen (der es wohl auch nicht selber erfunden hat): dass von verschiedenen etymologischen Erklärungen bestenfalls eine richtig sei. Im vorliegenden Fall sind gleich alle drei als unzutreffend zu bezeichnen, obwohl in allen ein Fünkchen Wahrheit steckt - in der ersten übrigens das anteilmässig grösste. Richtig ist dort die Herleitung von (Lateinisch) «carrus» und (mittellateinisch) «carraria». Sprachhistorisch verfehlt dagegen ist die Verknüpfung mit dem Bild des Karrenziehens. Der entscheidende Entwicklungsschritt war vielmehr, dass unser Wort vom «Fahrweg» auf den «Lebensweg» und speziell auf den «beruflichen Werdegang» übertragen wurde. Dass wir beruflich Karren ziehen (z. B. aus dem Dreck), ist zwar ein sehr einleuchtendes sprachliches Bild, hat aber mit der Wortgeschichte von «Karriere» nichts zu tun. An der zweiten Erklärung ist vor allem der Verweis auf das Französische richtig, aus dem unser deutsches Wort vor ein paar hundert Jahren entlehnt wurde (also nicht direkt aus dem mittelalterlichen Latein). Dagegen ist die Form «garrière» mit G kaum mehr als eine seltene dialektale Nebenform. Ich habe dafür notabene keinen Beleg gefunden, lasse mich aber gerne eines Besseren belehren. Jedenfalls ist hier - bei allem Schweiss - nie ein G (ga-) zu «hartem» K (ca-) geworden, sondern im Gegenteil das alte K (lat. «carrus») teilweise zu Sch (franz. «char»; entsprechend gab es früher «charrière»). Auch eine Bedeutung «Galopp» habe ich im Französischen nirgends finden können; am nächsten kommt hier der Ausdruck «donner carrière au cheval» im Sinne von «dem Pferd freie Bahn lassen, d. h. die Zügel geben». Eine Bedeutung «Galopp» existiert nun allerdings im Italienischen, sie muss da aber sekundär sein. Überhaupt ist «carriera» ein entlehntes Wort; echt italienisch ist «carraia», und das bedeutet noch heute «Fahrweg». Dass Karriere genuin etwas mit hoher Geschwindigkeit zu tun hat, lässt sich sprachgeschichtlich somit nicht behaupten. Und wir wissen ja nur zu gut: Sprunghaft-steile Karrieren sind weder die typischsten noch stets die segensreichsen. Dafür dürfen wir die Karriere mit gutem Grund als einen «Weg» betrachten. Dessen Befahrbarkeit mit Karren lässt mich allerdings eher an einen vorgespurten als an einen frei gesuchten Weg denken. Auch davon haftet manchen Karrieren bis heute etwas an.
Rudolf Wachter (Basel)
Prof. Dr. Phil., Universität Basel
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