Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)

 

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Text-Quelle:

NZZ, Ausgabe vom 31. Dezember 1998

 

Auf der Unesco-Liste des Welterbes

Eine römische Grossstadt in Nordafrika

Die archäologische Fundstelle Leptis Magna in Libyen

G. G. Nach Karthago war Leptis Magna die bedeutendste antike Stadt am Südrand des westlichen Mittelmeers, mit 100 000 Einwohnern zur Zeit der höchsten Blüte nach damaligem Verständnis gar eine Grossstadt. Zwischen 1920 und 1943 lüfteten italienische Archäologen stellenweise die Decke aus Flugsand, die ein Jahrtausend über das immense Stadtgelände gelegt hatte. Seit 1950 setzt die Altertümerverwaltung Libyens mit wechselndem Aufwand die Grabungs- und Wiederherstellungsarbeiten fort. Die Universität in Tripolis ist mit einer ganzen Fakultät auf die punisch-römischen Ruinenstädte Tripolitaniens und auf die griechisch-römischen Fundstätten in der Cyrenaika fokussiert; sie gewährleistet den Nachwuchs an Ausgräbern und Restauratoren. Leptis wurde 1982 in den Rang einer Welterbestätte erhoben.

Die nachmalige Grossstadt begann bescheiden als phönikische Handelsniederlassung Anfang des 1. vorchristlichen Jahrtausends; später wurde Leptis eine punische Kolonie. Es gab dort Wasser und Fruchtland, einen Ankerplatz für Schiffe. Vor allem aber: von hier ging der kürzeste Karawanenweg ins Innere Afrikas ab. Während Jahrhunderten scheint Leptis mit Bescheidenheit gut gefahren zu sein: weder forderte es die grosse Mutter zur Linken, Karthago, heraus, noch provozierte es allzusehr die aufsässigen Wüstennomaden in seinem Hinterhof und zu seiner Rechten. Aus dem 3. Punischen Krieg, der Karthago zerstörte, konnte es sich heraushalten, und vor den aufständischen Numidern und Garamanten rettete es sich in die Obhut Roms. Rom belohnte die Loyalität der afrikanischen Stadt mit Privilegien. In den ersten drei Jahrhunderten wuchs sie und wuchs; damals nahm sie den Beinamen Magna, «die Grosse», an - zur Unterscheidung von einem gleichnamigen Schwesterstädtchen, Leptis Minus. Nero rüstete das grosse Leptis mit einem leistungsfähigen Hafen aus. Zunächst traten aber vor allem am Transsaharahandel reich gewordene Bürger als Sponsoren von Monumentalbauten auf. Annobal Tapapius Rufus, ein Einheimischer, hielt in einer Inschrift punisch und lateinisch die Stiftung des Theaters (zwischen 1 und 2 n. Chr.) fest - eines der schönsten und ältesten römischen Theater überhaupt. Später sorgte Septimius Severus, römischer Kaiser von 193 bis 211, für einen Quantensprung der Stadtentwicklung: gebürtiger Leptitaner, verwöhnte er seine Vaterstadt mit Prunkbauten; sein Nachfolger und Sohn Caracalla tat es ihm gleich. Die Steinbrüche Ägyptens, Kleinasiens, Tunesiens und der Kykladen lieferten Tausende von Tonnen des kostspieligsten Marmors, in zum Teil riesigen Blöcken, zum Bau der severischen Neustadt. Nach der Mitte des 4. Jahrhunderts hatte dann Leptis eine Pechsträhne. Die Wüstenvölker und die Vandalen setzten ihm zu, auch die ihm gewogenen Byzantiner brachten am Ende nur noch mehr Zerstörungen. Die Stadt schrumpfte zu einem Kaff, die Sandabwehr erlahmte, die Dünen überfuhren die städtische Pracht. Der Marmor, der da und dort aus dem Sand ragte, regte später immer wieder den Appetit von Plünderern an. Unter den Fledderern tat sich nach 1686 Claude Lemaire, französischer Konsul in Tripolis, hervor: er schaffte Schiffsladungen des leptitanischen Marmors nach Toulon und von dort nach Paris, wo er an Steinmetzen und Bildhauer verhökert wurde; Hunderte von Säulen aus Leptis wurden in Versailles verbaut, vier stützen den Baldachin über dem Altar in der Kirche St- Germain-des-Prés.

Gemessen an modernen Ausgrabungsmethoden, gingen die italienischen Archäologen in den zwanziger und dreissiger Jahren mit der einzigartigen Fundstätte eher ruppig um. Die Stratigraphie, heute das A und O jeder sauberen archäologischen Grabung, kümmerte sie wenig. Weder bei dem frühen noch beim späten Leptis hielten sie sich auf, ihnen lag ausschliesslich an dem Plan der kaiserzeitlichen Stadt und an ausgewählten Repräsentationsbauten - Forum, Markthallen, Bäder, Tempel, Theater, Amphitheater, Circus, Prachtstrassen. Diese auferweckten sie freilich triumphal. Um sie der Anschauung wiederzugewinnen, scheuten sie vor Anastylose, das heisst der Wiedererrichtung mit originalen Bauteilen, nicht zurück. «Anastylose», für Puristen unter den Archäologen ein Greuel, ist neuerdings weltweit ein Hoffnungswort der Tourismusmanager. Sie liegen den Archäologen mit der Forderung in den Ohren, die Kulturdenkmäler zu pfannenfertigen und leicht konsumierbaren Sehenswürdigkeiten («Antike light») aufzubereiten. Den Besucher von Leptis Magna vergrault glücklicherweise vorläufig kein Fast-food-Geschmack. Das Gelände der antiken Grossstadt ist ja vielleicht auch ganz einfach zu weitläufig, es bietet nur schon deshalb noch Freiräume zu einer romantisch-träumerischen Betrachtung von Ruinen. 

 


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